Untitled
In den letzten zwanzig Jahren hatte er die Hoffnung allmählich aufgegeben, daß Peter je heiraten würde, und ihn nun in ein geregeltes Leben eintreten zu sehen, erfüllte ihn mit einem Gefühl der Dankbarkeit. Schließlich mußte er sich offen eingestehen, daß sein einziger Sohn, der zu halsbrecherischen Autofahrten neigte, der gesetzliche Erbe war, und wenn der ausfiel, stand nur noch Peters hypothetische Linie zwischen dem Titel und einem verkalkten Vetter dritten Grades, der an der Riviera lebte. Denn es gab nur eine Leidenschaft, die die harmlose und eher dumpfe Existenz des Herzogs dauerhaft beherrschte: den Familienbesitz beisammenzuhalten, allen ungeheuerlichen Zumutungen wie Grundstückssteuer, Erbschaftssteuer und dem Steuerzuschlag zum Trotz. Er war sich bitter der Tatsache bewußt, daß sein eigener Sohn diese Leidenschaft nicht teilte. Wenn er an seinem Schreibtisch saß und mit den Büchern und Berichten seines Verwalters kämpfte, wurde er manchmal von entsetzlichen Zukunftsvisionen heimgesucht: er selbst tot, der Fideikommiß gebrochen, das Gut zerstückelt, das Herrenhaus an einen Filmmagnaten verkauft. Wenn man Saint-George nur begreiflich machen könnte – man mußte es ihm irgendwie begreiflich machen … Und darauf folgte stets derselbe Gedanke, beunruhigend und sonderbar illoyal: Peter ist ein schräger Vogel, aber ihm könnte ich eher vertrauen. Diesen Gedanken verscheuchte er dann immer mit einem Grummeln und fing an, einen aufgebrachten Brief an seinen Sohn in Oxford zu schreiben, in dem er sich über die Schulden beklagte, die dieser machte, den Umgang, den er pflegte, und die Seltenheit seiner Besuche auf dem Familiensitz.
So traf nun also die Herzogin Vorbereitungen für eine Dinnerparty in Carlton House Terrace, und der Herzog schrieb an Lord Saint-George, der bei Freunden in Shropshire weilte, daß er den Anstand zeigen müsse, seinen Onkel und seine Tante zu empfangen, wenn sie von ihrer Reise zurückkehrten, und daß es keinen Zweck habe, den Trimesterbeginn als Ausrede für sein Fernbleiben vorzuschieben. Er könne sehr gut am nächsten Morgen nach Oxford zurückfahren.
«Bist du bereit, dich der Familie zu stellen?» fragte Lord Peter Wimsey seine Frau. Mit der goldumrandeten Einladung in der Hand sah er sie über die lange Frühstückstafel hinweg an.
«Ich bin zu allem bereit», sagte Harnet munter. «Außerdem muß es ja irgendwann passieren, oder?»
«Es spricht einiges dafür, daß wir das hinter uns bringen», gab Seine Lordschaft zu bedenken, «solange wir noch nebeneinander sitzen können.»
«Ich dachte, Eheleute werden grundsätzlich auseinander gesetzt», sagte Harriet.
«Nein, die ersten sechs Monate nach der Hochzeit dürfen wir noch zusammensitzen.»
«Dürfen wir auch unter dem Tisch Händchen halten?»
«Das wohl eher nicht», antwortete Peter. «Es sei denn, das Schiff geht gerade unter. Aber wir dürfen uns beim Menü insgesamt einen Gang lang miteinander unterhalten.»
«Legt das Protokoll auch fest, bei welchem Gang?» fragte Harriet.
«Nicht daß ich wüßte. Nimmst du mich als Hors d'œuvre, als Suppe, Fischgang, Hauptgericht, Pastete, Käse oder Dessert?»
«Als wohlverdientes Dessert, Mylord», sagte Harriet würdevoll.
Wenn die Gäste der Herzogin samt und sonders entweder ganz oben auf der Skala des gesellschaftlichen Status standen oder ausgesprochen en vogue waren oder sogar beides zusammen, so kann dieser Umstand nicht auf die Absicht der Gastgeberin zurückgeführt werden, die Braut zu kompromittieren. Eine solche hochkarätige Versammlung war sie Peters gesellschaftlicher Position schuldig. Die Herzogin hoffte aufrichtig, daß sich «diese Frau» gut aufführen würde. Es war eine höchst unpassende Verbindung, aber man mußte eben gute Miene zum bösen Spiel machen. Und wenn sich aufgrund der geplanten Tischordnung ein oder zwei Gäste in trostloser Nachbarschaft plaziert sehen würden, so ließ sich daran nichts ändern. Die Rangordnung mußte beachtet werden, die Brautleute hatten ihre vorgeschriebenen Plätze, und die übrigen Eheleute waren getrennt zu setzen. Man konnte nun einmal nicht alles haben im Leben, und damit hatten sich die Leute abzufinden. Dennoch machte der Herzog ein säuerliches Gesicht.
«Hättest du nicht jemand Lebhafteren als ausgerechnet den alten Croppingford gegenüber von Harriet hinsetzen können? Der kann doch über nichts anderes reden als Pferde und die Jagd. Gib ihr doch den jungen Drummond-Taber, der
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