Untitled
Gesichter zu lesen, und darüber hinaus durch den Klatsch von Lady Stoate gut gerüstet war, warf nur einen Blick auf das Schauspiel und dachte: «Oh, oh! Man trotzt der Obrigkeit, ganz klar. Erstaunlich. Das wird Madame la Duchesse gar nicht schmecken. Das Kleid ganz exquisit, vollendeter Geschmack, drei unvergleichliche Rubine. Wie soll man sie beschreiben? Ist sie hübsch? Keine Spur, aber mein Gott! Was für eine Erscheinung! Welche Charakterstärke! Sie wird ihre Sache schon gut machen. Aber der Schlüssel zu ihrem Geheimnis ist der Mann. Il est formidable, mon Dieu, der weiße Minnefalke …»
Und als man sich reihum begrüßte, fügte er bei sich hinzu: «Na, das wird ein Riesenspaß.»
Der Herzog begegnete der neuen Lady Peter Wimsey mit einiger Besorgnis. Natürlich hatten sie sich schon vorher getroffen, in der Verlobungszeit, aber immer war jemand anderes dabei gewesen – seine Frau, Peter, die Herzoginwitwe von Denver –, und die waren für ihn stets in die Bresche gesprungen, was die Konversation anging. Die nächsten fünf Minuten oder mehr war er jedoch auf sich allein gestellt und mußte zusehen, wie er mit ihr zu Rande kam. Es war ihm überaus bewußt, daß schriftstellernde Oxford-Absolventinnen so gar nicht sein Metier waren. Er wagte vorsichtig einen Anfang: «Na, alles in Ordnung bei euch?»
«Alles bestens, ich danke dir. Es war wunderschön in Paris. Und das Haus ist einfach perfekt. Oh, und jetzt habe ich ja auch deine Gobelins an Ort und Stelle hängen sehen, und ich muß mich noch einmal richtig bei dir bedanken. Sie passen ganz großartig dort hin, und sie sind wirklich wunderschön.»
«Freut mich, wenn sie euch gefallen», sagte der Herzog. Er konnte sich nicht im mindesten darauf besinnen, wie die Gobelins aussahen, obwohl er noch eine schemenhafte Erinnerung hatte, daß seine tatendurstige Mutter sie als passendes und wertvolles Hochzeitsgeschenk mit interessantem Familienbezug ausgewählt hatte. Da gab es etwas, von dem er meinte, es ansprechen zu müssen, obwohl er nicht recht wußte, wie.
«War sicher nicht so einfach, die letzte Zeit, mit dem Mord und so. Unschöne Sache.»
«Ja, es war wirklich ein unerfreuliches Erlebnis. Aber es ließ sich eben nicht verhindern. Wir müssen versuchen, darüber hinwegzukommen.»
«Ganz recht», sagte der Herzog. Er ließ unbehaglich seinen Blick über die versammelte Gesellschaft schweifen und fügte, ohne darüber nachzudenken, hinzu: «Sie werden keine Ruhe geben und dumme Fragen stellen. Alles Klatschbasen. Gar nicht drauf achten.» Seine Schwägerin warf ihm ein dankbares Lächeln zu. Mit gedämpfter Stimme fragte er: «Wie wird Peter damit fertig?»
«Es war eine schlimme Zeit für ihn, aber ich glaube, jetzt ist er über den Berg.»
«Gut. Kümmert er sich ordentlich um dich?»
«Perfekt.»
Das klang einigermaßen beruhigend. Der Herzog besah sich seine Schwägerin etwas aufmerksamer. Ihm dämmerte, daß das, was da neben ihm saß – Grips hin, Grips her –, sich in Form und Erscheinung nicht wesentlich von anderen Frauen unterschied. Er sagte aufrichtig: «Das freut mich. Freut mich sehr.»
Harriet bemerkte die aufrichtige Sorge, die ihm ins Gesicht geschrieben war. «Es wird alles gut, Gerald. Ganz bestimmt.»
Der Herzog war überrascht, und es fiel ihm keine andere Antwort ein als: «Sehr schön.» Ihm schien, sie stünden nun auf recht vertrautem Fuß. Er ließ sich ganz in dieses Gefühl fallen und preschte ohne Rücksicht auf Verluste vor: «Ich habe immer gesagt, sie sollen Peter in Ruhe lassen. Der Junge ist alt genug, zu wissen, was er will.»
Nachdem er damit die Familie dem Feind auf Gedeih und
Verderb ausgeliefert hatte, war es ihm auf einmal peinlich, und er verstummte schlagartig.
«Danke dir. Ich werde zusehen, daß er es auch bekommt.»
Die Meldung, es sei angerichtet, bewahrte ihn vor weiteren Entblößungen und ließ ihn statt dessen bei Tisch in die Fänge der erwartungsvollen Lady Grummidge geraten.
Was für ein Unsinn, dachte die Herzogin, die mit einem halben Ohr Grummidges Ausführungen über sanitäre Anlagen würdigte, was für ein Unsinn, anzunehmen, daß Peter Lady Croppingford nicht ausstehen konnte, er war schließlich damit beschäftigt, sie zu kleinen Lachkaskaden hinzureißen – gewiß eine Leistung, da man sich noch im Suppenstadium der Veranstaltung befand. Tatsächlich aber führte Lady Croppingford einen Sturmangriff gegen ihren Nachbarn, wobei sie sich dessen wunde Punkte
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