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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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geirrt! Zum ersten Male sieht sich Advokat Orazio Rusotto gezwungen, in aller Öffentlichkeit zuzugeben, daß er sich geirrt hat, daß er einem außerordentlich schwerwiegenden Irrtume aufgesessen ist! Denn in Wirklichkeit geht alles, was ich bis zu diesem Augenblicke gesagt habe, um das Eigentliche, und zwar um das eigentliche Eigentliche! Denn auf die gleiche Weise, wie mein Mandant, Filippo Genuardi, miterleben mußte, wie er auf Grund einer einfachen, schlampigen Verwechslung von Personen sich zu einem subversiven Leugner Gottes, des Vaterlandes und der Familie verwandelte, auf die gleiche Weise, so wiederhole und betone ich, setzt man sich hier der Gefahr aus, eine großmütige, selbstlose Handlung Genuardis in eine verbrecherische Tat umzudeuten.
    Der Justizirrtum, Signori dieses Hohen Gerichtes, ist die ungeheuerliche Gefahr, welche über jedem Prozesse schwebt. Die Frage, welche das Gehirn, das Herz, das Gefühl eines jeden Mannes zermartert, der Recht auszuüben hat, und ihn des Nachts keinen Schlaf finden läßt, ist immer die gleiche: Sollte ich mich irren?
      Daher halte ich mich streng an die Fakten, die konkreten, die schwerwiegenden, welche außerhalb jedes noch so geringsten Zweifels stehen.
      Der Zeuge Patanè Giovanni, der einen Obst‐ und Gemüsestand unmittelbar neben dem Portal jenes Hauses hat, in welchem Signor La Ferlita wohnt, hat unter Eid ausgesagt, er habe gesehen, wie der Genuardi den Revolver gezogen und in die Luft geschossen hat.
      Die Zeugin Cannistrello Pasqualina, Hausiererin, hat unter Eid erklärt, sie habe gesehen, wie der Genuardi »auf Spätzlein schoß«, wie sie sich so farbig ausdrückte: Er schoß auf Vögel, das heißt in die Luft.
      Wollen Sie, daß ich Sie hier mit noch sieben weiteren Zeugen langweile, die alle übereinstimmend unter Eid das gleiche ausgesagt haben? Sind sie alle unterschiedslos Meineidige? Wenn das so ist, fordere ich Sie, Herr Staatsanwalt, hiermit in aller Form auf, offiziell gegen sie alle wegen falscher Zeugenaussage zu ermitteln.
      Wenn Sie das nicht tun, bedeutet das stillschweigend, daß die Zeugen die Wahrheit sagten, das heißt, daß mein Mandant in die Luft geschossen hat.
      Kommen wir dann zur Zeugenaussage des Gefängnisaufsehers, der den Genuardi verhaftet hatte. Der Aufseher erklärte unter Eid, daß er, in eben dem Augenblicke, in dem der Genuardi schoß, dabei war, ein paar Birnen am Stand des Zeugen Patanè auszusuchen, und es war der Knall des Schusses, der ihn blitzschnell herumfahren ließ.
    Er sah, so seine wörtliche Darstellung, »wie der Genuardi seine bewaffnete Hand nach unten senkte«, mithin ist er absolut nicht in der Lage, eine eindeutige Aussage darüber zu machen, ob der Genuardi in die Luft oder in Richtung La Ferlitas geschossen hat. Er hat außerdem noch gesagt, daß im Augenblicke der Festnahme der Schütze nicht nur keinen Widerstand leistete (und das, obwohl er noch die rauchende Waffe in der Hand hielt, während der Aufseher unbewaffnet war), sondern völlig willenlos schien, so als wäre er benommen. Damit bleibt festzustellen, daß es niemanden gibt, der bezeugen könnte, gesehen zu haben, daß der Genuardi den Revolver auf den La Ferlita gerichtet hatte. Signor Presidente! Signori dieses Hohen Gerichtes!
      Mit einfachen, mit schlichten Worten werde ich Ihnen die Wahrheit der Fakten darlegen, so wie ich sie den gebrochenen, tief bewegenden, untröstlichen Worten des Genuardi entnommen habe, eines tief in seiner Ehre verletzten und gedemütigten Mannes, eines Mannes, mit dem, so scheint es, ein zynisches, hinterhältiges Schicksal ein höhnisches Spiel treiben will! Doch bedenken Sie, die Geschichte, die er mir erzählt hat, wollte ich Punkt für Punkt auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, denn niemand, weder in diesem Saale noch außerhalb dieses Saales, hat jemals behaupten können, daß Advokat Orazio Rusotto die Verteidigung eines Menschen übernommen habe, von dessen Unschuld er nicht zutiefst überzeugt war.
    Vor einiger Zeit ist Filippo Genuardi aus geschäftlichen Gründen aus seinem heimatlichen Vigàta nach Palermo gezogen. Dort erfuhr er zufällig die Adresse seines Landsmannes und brüderlichen Freundes Rosario La Ferlita, dessen Spuren er verloren hatte. Genuardi und La Ferlita, Freunde seit Kindestagen, jahrelang Banknachbarn in derselben Schulklasse, haben später den Gefühlsrausch der ersten Liebschaften miteinander geteilt, auch die ersten Enttäuschungen, sie vertrauten

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