Untitled
umgebracht.«
Der ältere der beiden Wärter – Stephen Kessler – brauchte keine fünf Sekunden, um eine Entscheidung zu treffen. Er drehte den Schlüssel um, der die Sicherheitstür öffnete. Kessler war ein Freund von Robert Fishenauer, und darauf hatte Soneji gezählt. Soneji hatte an alles gedacht. Er hatte gewußt, daß Robert Fishenauer ein »Lebenslänglicher« war, genauso in der Falle saß wie die Insassen. Er hatte über Fishenauers Wut und Frustration gesprochen und ins Schwarze getroffen. Er war der schlauste Scheißkerl, dem Robert Fishenauer je begegnet war. Er würde Fishenauer zum Millionär machen.
Die beiden gingen zu Fishenauers Auto. Der Firebird parkte dicht am Eingangstor. Fishenauer hatte den Sportwagen nicht abgeschlossen.
Sie stiegen blitzschnell ein.
»Ganz nettes Wägelchen, Bobby«, sagte Gary Soneji/Murphy. »Jetzt kannst du dir einen Lamborghini kaufen. Zwei oder drei, wenn du willst.«
Soneji legte sich auf den Rücksitz. Er schlüpfte unter eine Decke, auf der sonst Fishenauers Collie schlief. Sie roch stark nach Hund.
»Nichts wie raus aus diesem Rattenloch«, sagte Soneji/Murphy vom Rücksitz aus. Robert Fishenauer ließ den Firebird an.
Einen Kilometer vom Gefängnis entfernt wechselten sie das Auto. An der Straße parkte ein Bronco, und sie stiegen schnell ein.
Ein paar Minuten später waren sie auf der Schnellstraße. Nicht viel Verkehr, aber es reichte zum Untertauchen.
Nach nicht ganz neunzig Minuten bog der Bronco auf die überwucherte Zufahrt zur alten Farm im ländlichen Maryland ein. Während der Fahrt hatte sich Soneji/Murphy das kleine, aber erlesene Vergnügen gestattet, seinen meisterhaften Plan genüßlich auszukosten. Er war begeistert davon, daß er vor zwei Jahren auf die Idee gekommen war, Geld in der Garage zu verstecken. Natürlich nicht das Lösegeld. Nur für den Fall der Fälle. Welche Voraussicht.
»Sind wir schon da?« fragte Gary Soneji/Murphy schließlich unter der Decke.
Fishenauer antwortete nicht sofort, aber Gary merkte es an dem holprigen Weg. Er setzte sich auf dem engen Rücksitz des Bronco auf. Er hatte es fast geschafft. Er war unbesiegbar.
»Zeit zum Reichwerden«, sagte er und lachte laut auf. »Hast du irgendwann mal vor, mir die Arm- und Beinschellen abzunehmen?«
Robert Fishenauer machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen. Aus seiner Sicht war das immer noch eine Beziehung zwischen Wärter und Häftling. »Sobald ich meinen Anteil am Lösegeld habe«, sagte er aus dem Mundwinkel. »Dann, und erst dann, bist du frei!«
Soneji/Murphy sprach mit Fishenauers Hinterkopf. »Bist du dir auch sicher, daß du die Schlüssel dabei hast, Robert?«
»Mach dir darüber keine Sorgen. Bist du dir auch sicher, daß du weißt, wo der Rest des Lösegelds versteckt ist?«
»Ganz sicher.«
Soneji/Murphy war sich außerdem sicher, daß Fishenauer die Schlüssel bei sich hatte. Gary hatte in den letzten anderthalb Stunden schwere Klaustrophobie bekommen. Das war einer der Gründe, warum er an etwas anderes gedacht hatte: an seinen meisterhaften Plan. Erinnerungen an den Keller zu Hause waren auf der ganzen Fahrt vor ihm aufgeblitzt. Er hatte seine Stiefmutter gesehen. Ihre zwei verzogenen Bankerte gesehen. Er hatte wieder sich als Jungen gespielt – die glorreichen Abenteuer des bösen Jungen. Sein Phantasieleben hatte ihn eine Zeitlang beschäftigt.
Als der Bronco langsam den Weg entlangholperte, legte Gary Soneji/Murphy beide Hände um Fishenauers Kopf und schloß sie um seine Kehle. Ein Überraschungselement. Er preßte die Handschellen gegen den Adamsapfel des Gefängniswärters.
»Was soll ich schon sagen, Bobby – schließlich bin ich ein psychopathischer Lügner.«
Fishenauer schlug um sich und kämpfte wild. Er konnte nicht atmen. Es war, als ob er ertrank.
Seine Knie schlugen hart gegen das Armaturenbrett und das Lenkrad. Lautes, animalisches Knurren von beiden Männern erfüllte die Nacht.
Fishenauer gelang es, die Beine auf den Beifahrersitz zu heben. Sein Arbeitsstiefel trat gegen die Decke des Bronco. Sein Rumpf drehte sich zur Seite, wie ausgehängt. Er röchelte und stieß ein seltsames Geräusch aus. Es klang wie brennendes Metall, wie ein Knacken auf dem Herd.
Fishenauers Kampf ließ nach und hörte schließlich auf, bis auf ein Zucken seiner Glieder.
Gary war frei. Genau wie er es von Anfang an gewußt hatte – Gary Soneji/Murphy war wieder auf freiem Fuß.
79. Kapitel
Jezzie Flanagan ging den Flur entlang
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