Untitled
einen langen Tag hinter uns. Nichts Gutes war dabei herausgekommen. Gary Soneji schien sich wieder in Luft aufgelöst zu haben. Ich kam mir vor wie in einem Horrorfilm.
»Wollen wir noch ein paar zusätzliche Straßen abklappern?« fragte ich Sampson. Ich war so verzweifelt, daß ich an den einarmigen Banditen in Atlantic City mein Glück versucht hätte. Soneji spielte mit uns. Vielleicht beobachtete er uns. Vielleicht war der Scheißkerl unsichtbar.
Sampson schüttelte den Kopf. »Mir reicht's, Schätzchen. Ich will mindestens einen Kasten Bier trinken. Danach fange ich vielleicht ernsthaft mit dem Trinken an.«
Er wischte sich Schneematsch von der Sonnenbrille und setzte sie dann wieder auf. Es ist unheimlich, wie gut ich jede seiner Bewegungen kenne. So wischt er sich die Brille ab, seit >
er zwölf war. Im Regen, im Hagel oder im Schnee.
»Komm schon, nur noch ein paar Straßen«, sagte ich. »Für Ms. Vivian. Das mindeste, was wir tun können.«
»Ich hab' gewußt, daß du das sagst.«
An jenem Abend betraten wir gegen zwanzig nach sechs die Wohnung einer Mrs. Quillie McBride. Quillie und ihre Freundin Mrs. Scott saßen am Küchentisch. Mrs. Scott hatte uns etwas zu sagen. Wir waren da, um uns alles anzuhören, was sie zu sagen hatte.
Wer an einem Sonntagmorgen durch den Südosten von D.C. geht, durch den nördlichen Teil von Philadelphia oder durch Harlem in New York, kann immer noch Damen wie Mrs. McBride und ihre Freundin Willie Mae Randall Scott sehen. Solche Damen tragen weite Blusen und verschossene Gabardineröcke. Normalerweise sind sie herausgeputzt mit Federhüten und Schnürschuhen mit dicken Absätzen, in denen ihre Füße wie abgebundene Würste aussehen. Sie besuchen verschiedene Kirchen. Im Fall von Willie Mae, die eine Zeugin Jehovahs ist, verteilen sie die Zeitung Der Wachturm .
»Ich glaube, ich kann Ihnen helfen«, sagte Mrs. Scott mit leiser, aufrichtiger Stimme. Sie war vermutlich achtzig, sprach aber konzentriert und deutlich.
»Das wissen wir zu schätzen«, sagte ich. Wir vier saßen um den Küchentisch herum. Ein Teller Hafermehlplätzchen war für den seltenen Anlaß, daß jemand zu Besuch kam, bereitgestellt worden. Ein Triptychon mit den Fotos der beiden ermordeten Kennedys und von Martin Luther King beherrschte eine Küchenwand.
»Ich habe von dem Mord an der Lehrerin gehört«, sagte Mrs. Scott zu Sampson und mir. »Und etwa einen Monat vor den Morden an den Turners habe ich einen Mann gesehen, der durch die Gegend fuhr. Er war ein Weißer. Zum Glück habe ich immer noch ein gutes Gedächtnis. Ich versuche, daß es so bleibt, indem ich mich auf alles konzentriere, was meine Augen zu sehen bekommen. Heute in zehn Jahren werde ich mich an jeden Augenblick dieses Gesprächs mit Ihnen erinnern können.«
Ihre Freundin McBride hatte ihren Stuhl neben den von Mrs. Scott gezogen. Sie sagte anfangs nichts, nahm jedoch Mrs. Scotts üppigen Arm in die Hand.
»Das stimmt. Sie wird sich daran erinnern«, sagte Quillie McBride.
»Eine Woche vor den Morden an den Turners kam derselbe Weiße wieder in unsere Gegend«, fuhr Mrs. Scott fort. »Beim zweiten Mal ging er von Tür zu Tür. Er war ein Vertreter.«
Sampson und ich schauten uns an. »Was für ein Vertreter?« fragte Sampson.
Mrs. Scott ließ den Blick über Sampsons Gesicht schweifen, ehe sie die Frage beantwortete. Ich nahm an, sie konzentriere sich, vergewisserte sich, daß sie sich an alles über den Vertreter erinnerte. »Er hat Heizungen für den Winter verkauft. Ich bin zu seinem Auto gegangen und habe hineingeschaut. Auf dem Vordersitz lag eine Art Auftragsblock. Seine Firma heißt Atlantic Hearing, in Wilmington, Delaware.«
Mrs. Scott schaute von Gesicht zu Gesicht, entweder, um sich zu vergewissern, daß sie sich deutlich ausgedrückt hatte, oder ob wir auch alles mitbekommen hatten, was sie eben gesagt hatte.
»Gestern habe ich dasselbe Auto wieder in der Gegend gesehen. Ich habe das Auto an dem Morgen gesehen, an dem die Frau in der C Street umgebracht worden ist. Ich habe zu meiner Freundin hier gesagt: ›Das kann doch alles kein Zufall sein, oder?‹ Jetzt weiß ich nicht, ob das der Kerl ist, den Sie suchen,
aber ich glaube, Sie sollten mit ihm sprechen.«
Sampson schaute mich an. Dann taten wir beide etwas, was in letzter Zeit seltener geworden war. Wir lächelten. Auch die Damen schlossen sich uns an. Wir hatten etwas. Wir hatten zum ersten Mal einen Durchbruch in diesem Fall.
»Wir werden mit
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