Untitled
in einer Heilanstalt«. Offenbar hatte Lee nach dem Gespräch mit mir weitere Quellen angezapft.
»Warum sagen sie nicht einfach offen, was sie meinen«, murmelte Nana über dem Toast und der Tasse Tee. Ich nahm an, sie hielt nicht viel von Lees Stil.
»Warum sagen sie was nicht?« fragte ich.
»Das Offensichtliche. Jemand will nicht, daß du an dem sauberen kleinen Fall herumpfuschst. Sie wollen Gerechtigkeit ohne solche Mätzchen. Nicht unbedingt die Wahrheit. Jedenfalls scheint hier niemand die Wahrheit zu wollen. Sie wollen sich sofort besser fühlen. Sie wollen, daß der Schmerz aufhört. Die Leute haben eine niedrige Toleranzschwelle gegen Schmerz, vor allem heutzutage. Seit Dr. Spock damit angefangen hat, unsere Kinder für uns aufzuziehen.«
»Hast du dir das beim Frühstück zusammenphantasiert? Klingt ein bißchen nach einer Folge von Mord ist ihr Hobby .«
Ich goß mir Tee ein. Ohne Zucker und Sahne. Ich nahm ein Muffin und legte zwei Würstchen zwischen die Hälften.
»Keine Phantasien, Alex. Die Wirklichkeit, so greifbar wie die Nase in deinem Gesicht.«
Ich nickte Nana zu. Vielleicht hatte sie recht, aber der Gedanke war vor sechs Uhr morgens zu deprimierend. »Nichts geht so früh am Morgen über Pflaumen«, sagte ich. »Mmm, mmm, gut.«
»Hm.« Nana Mama runzelte die Stirn. »An deiner Stelle würde ich in nächster Zeit mit den Pflaumen etwas langsamer treten. Ich habe den Verdacht, von nun an brauchst du zusätzlichen Mumm in die Knochen. Falls ich dir das so unverblümt sagen darf.«
»Danke, Nana. Ich weiß deine Direktheit zu schätzen.«
»Du bist herzlich eingeladen. Zum Frühstück und zu diesem hervorragenden Rat: Trau keinem Weißen.«
»Sehr gutes Frühstück«, sagte ich zu ihr.
»Wie geht es deiner neuen Freundin?« fragte meine Großmutter.
Ihr entgeht nie etwas.
50. Kapitel
In der Luft hing ein hohes Summen, als ich vor dem Gefängnis aus dem Auto stieg. Das Geräusch nervte. Überall lagen Reporter von Zeitungen und Fernsehsendern auf der Lauer. Sie warteten auf mich. Genau wie Soneji/Murphy. Er war in eine normale Gefängniszelle verlegt worden.
Als ich in einem leisen Nieselregen über den Parkplatz ging, stachen aus einem Dutzend verschiedener Winkel Fernsehkameras und Mikrophone auf mich ein. Ich war hier, um Gary Soneji/Murphy zu hypnotisieren, und die Presse wußte es. Ich war die Meldung des Tages.
»Thomas Dunne sagt, Sie versuchen, Soneji in eine Anstalt einweisen zu lassen, aus der er nach ein paar Jahren rauskommt. Ein Kommentar, Detective Cross?«
»Ich habe im Augenblick nichts zu sagen.« Ich durfte mit den Reportern nicht sprechen, was mich nicht gerade populär machte. Das hatte ich mit dem Justizministerium vereinbart, ehe es die Sitzungen schließlich erlaubte.
Hypnose wird heutzutage häufig in der Psychiatrie eingesetzt. Oft wendet sie der behandelnde Psychiater oder ein Psychologe an. Ich hoffte, in mehreren Gesprächen herauszufinden, was Gary Soneji/Murphy an den »verlorenen Tagen« widerfahren war, wenn er aus der realen Welt floh. Ich wußte nicht, ob es schnell dazu kommen würde, ob es überhaupt dazu kam.
Als ich in Garys Zelle war, ging alles ganz einfach und direkt. Ich schlug ihm vor, er solle sich entspannen und die Augen schließen. Als nächstes bat ich Gary einzuatmen, dann auszuatmen, ganz gleichmäßig und langsam. Ich sagte ihm, er solle jeden Gedanken aus seinem Kopf vertreiben. Und schließlich solle er langsam von hundert rückwärts zählen.
Er schien für eine Hypnose gut geeignet zu sein. Er wehrte sich nicht und glitt tief in einen suggestiven Zustand. Soweit ich es beurteilen konnte, war er hypnotisiert. Ich verhielt mich jedenfalls, als ob er es wäre. Ich hielt Ausschau nach Anzeichen für das Gegenteil, sah aber keine.
Seine Atmung war merklich langsamer geworden. Zu Beginn der Sitzung war er entspannter, als ich ihn je erlebt hatte. Wir plauderten zunächst über unerhebliche, nicht bedrohliche Themen.
Da er auf dem Parkplatz vor dem McDonald's, wie er sagte, »zu sich gekommen« oder er »selbst« geworden sei, fragte ich Gary danach, als er voll entspannt war.
»Erinnern Sie sich daran, daß Sie vor einem McDonald's in Wilkinsburg festgenommen worden sind?«
Eine kurze Pause – dann sagte er: »O ja, natürlich erinnere ich mich daran.«
»Ich bin froh, daß Sie sich daran erinnern, denn ich habe ein paar Fragen nach den Umständen bei McDonald's. Ich bin mir nicht ganz sicher, in welcher Reihenfolge
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