Untitled
werfen wollte, weil er ihr zu wertvoll war. Er zauberte eine Schweizer Fünf-Franken-Münze aus Friedis Ohr und wollte gerade eine weitere aus Pauls Mund holen, als das zweistimmige Jagdsignal einer Autohupe und Friedis Freudenschrei »Papa!« verkündeten, daß der gute Doktor nach Hause gekommen war.
Durcheinander auf dem Vorhof, Trappeln rennender Dienstboten, Zuschlagen von Autotüren, tiefes Jaulen glücklicher Hunde und sanftes Dröhnen polnischer Begrüßung, und schon stürmt ein geschäftiger Schwarzhaariger mit Geheimratsecken und weitausholenden Gebärden in den Innenhof, reißt sich Krawatte, Jackett und Schuhe und dann alles andere vom Leib, stößt einen Schrei der Erleichterung aus, stürzt sich haarig nackt in den Pool und schwimmt erst mal zwei Bahnen unter Wasser. Als er wie ein schlecht rasierter Bär wieder auftaucht, nimmt er dem Preisboxer einen bunten Bademantel aus der Hand, wickelt sich hinein, umarmt als erstes seine Frau, dann seine Tochter, ruft »Hallo, Pauli!« und fährt dem Jungen freundlich übers Haar, bevor er sich noch einmal seiner Frau zuwendet und dann erst, mit sichtlichem Mißbehagen, Oliver zur Kenntnis nimmt.
»Tut mir schrecklich leid, hier so hereinzuplatzen«, sagte Oliver mit seiner entwaffnendsten High-Society-Stimme. »Ich bin ein alter Freund von Jewgenij und soll Ihnen Grüße von Dr. Conrad übermitteln.« Keine Antwort, nur der offene Blick, mehrere Jahrhunderte älter als der Pauls und von dicken Liderpolstern umgeben. »Könnte ich wohl unter vier Augen mit Ihnen Oliver folgte Dr. Mirskys bunter Rückseite und nackten Fersen. Der Preisboxer im schwarzen Anzug folgte Oliver. Sie schritten durch einen Flur, erstiegen ein paar Stufen und betraten ein niedriges Arbeitszimmer mit überbreiten Fenstern aus entspiegeltem Glas, durch die man auf dämmrige, von unruhigen Lichtern flimmernde Hügelspitzen sah. Der Preisboxer schloß die Tür und lehnte sich daran, eine Hand aufs Herz gelegt.
»Okay«, sagte Mirsky. »Was zum Teufel wollen Sie?« Seine tiefe Stimme knatterte gleichmäßig wie eine Artilleriesalve. »Ich bin Oliver, der Sohn von Tiger Single. Ich bin der Juniorpartner des Hauses Single & Single in der Curzon Street, und ich suche meinen Vater.«
Mirsky knurrte etwas auf Polnisch. Der Preisboxer schob seine Hände liebevoll unter Olivers Achselhöhlen, betastete sie und dann Brust und Hosenbund. Er drehte Oliver herum, und statt ihn zu küssen oder ihn aufs Bett zu werfen wie Zoya, griff er ihm zwischen die Beine wie Kat und hörte erst mit diesen Zärtlichkeiten auf, als er an den Knöcheln angelangt war. Er zog Olivers Brieftasche heraus und reichte sie Mirsky, dann den auf den Namen West ausgestellten Paß, dann den Kram aus Olivers Taschen, der wie gewöhnlich selbst einem zwölfjährigen Schuljungen wenig Ehre gemacht hätte. Mirsky trug das alles in den gewölbten Händen zum Schreibtisch und setzte eine kostspielige Brille auf. Ein paar tausend Schweizer Franken den Rest seines Geldes hatte Oliver im Koffer gelassen -, etwas Kleingeld, ein Foto von Carmen auf einem Strandesel, ein noch ungelesener Ausschnitt aus einer Wochenzeitschrift namens Abrakadabra, in dem »neue und neu ausgeknobelte Tricks« angeboten wurden, ein frischgewaschenes Taschentuch, das ihm Aggie aufgedrängt hatte. Mirsky hielt den Paß ans Licht.
»Wo zum Teufel haben Sie das her?«
»Von Massingham«, sagte Oliver; er dachte an Nadia in Nightingales und wünschte sich kurz dorthin.
»Sie sind Freund von Massingham?«
»Wir sind Kollegen.«
»Hat Massingham Sie geschickt?« »Nein.«
»Hat britische Polizei Sie geschickt?«
»Ich bin von allein gekommen, ich will meinen Vater finden.« Mirsky sagte wieder etwas auf Polnisch. Der Preisboxer antwortete. Dann folgte ein hektischer Wortwechsel, in dem es offenbar darum ging, wie Oliver hierhergekommen war. Der Preisboxer bekam einen scharfen Rüffel und wurde aus dem Zimmer geschickt.
»Sie sind Gefahr für meine Frau und meine Familie, ist Ihnen das klar? Sie haben hier nichts zu suchen. Ist das klar?« »Ich höre.«
»Verschwinden Sie aus meinem Haus. Sofort. Und Gott helfe Ihnen, wenn Sie noch mal wiederkommen. Nehmen Sie diesen Scheiß. Ich will das nicht. Wer hat Sie hergebracht?« »Ein Taxi.«
»Seit wann in Istanbul fahren Frauen ein Taxi?«
Die haben sie entdeckt, dachte Oliver beeindruckt. »Ich habe sie von der Autovermietung am Flughafen. Wir haben eine Stunde gebraucht, um das Haus zu finden. Sie hatte noch
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