Untitled
einen anderen Auftrag, und ihr war das Benzin ausgegangen.« Mirsky sah angewidert zu, wie Oliver den Kram in seinen Taschen verstaute. »Ich muß ihn finden«, sagte Oliver, als er die Brieftasche einsteckte. »Wenn Sie nicht wissen, wo er ist, nennen Sie mir jemand, der es weiß. Er steckt bis zum Hals in Schwierigkeiten. Ich muß ihm helfen. Er ist mein Vater.« Vom Innenhof hörten sie munteres Geplauder; Mrs. Mirsky übergab die Kinder der Obhut eines Mädchens, das sie ins Bett bringen sollte. Der Preisboxer kam zurück und schien zu berichten, daß er seinen Auftrag erledigt hatte. Zögernd schien Mirsky einen anderen Befehl zu geben. Der Preisboxer äußerte Bedenken und wurde von Mirsky angebrüllt. Der Preisboxer verschwand und brachte Jeans, ein kariertes Hemd und Hosen und Hemd an, stieg in die Sandalen, sagte »Heiliger Gott« und stapfte vor Oliver und mit dem Preisboxer als Nachhut durch einen Nebengang zum Vorhof. Vor dem geschlossenen Tor stand ein silberner Mercedes, der Chauffeur saß noch am Steuer. Mirsky öffnete die Fahrertür, zerrte den Chauffeur heraus und kläffte einen Befehl. Der Preisboxer zog eine Pistole unter der linken Achsel hervor und gab sie Mirsky, der sie sich unter mißbilligendem Kopfschütteln mit dem Kolben voran in den Hosenbund stopfte. Der Preisboxer führte Oliver zur Beifahrertür und schob ihn, eine Hand auf seinem Arm, geschickt auf den Sitz. Das Doppeltor schwang auf. Mirsky fuhr hindurch, und auf der Straße schwenkte er nach links in Richtung der hell erleuchteten Stadt. Oliver hätte sich gern nach Aggie umgedreht, aber das wagte er nicht.
»Sie ein guter Freund von Massingham?«
»Er ist ein Schwein«, sagte Oliver, der annahm, dies sei nicht die Zeit für Halbwahrheiten. »Er hat meinen Vater beschissen.« »Na und? Wir alle sind Schweine. Und manche Schweine nicht mal Schach spielen.«
Mirsky bremste mitten auf der Straße so heftig, daß Oliver fast schlecht wurde, dann ließ er das Fenster heruntersurren und wartete. Rechts von ihnen schlängelte sich ein Pfad auf einen Wald blinkender Antennen zu, die auf dem Kamm des Hügels standen. Der Himmel wimmelte von Sternen, ein gleißender Mond war über den schwarzen Sattel des Horizonts gestiegen, tief unten glitzerte der Bosporus. Mirsky wartete immer noch und beobachtete seine Spiegel, aber keine Aggie folgte ihnen den Hügel hinunter. Mit einem unterdrückten Fluch legte Mirsky den ersten Gang ein, bog langsam von der Straße in den Weg ein, ging mit Tempo in eine Kurve, holperte fünfhundert Meter über Gras und Geröll und hielt schließlich in einer Parkbucht, die von der Hauptstraße aus nicht zu sehen war. Mächtige Baumstämme standen um sie herum. Oliver dachte an seinen eigenen geheimen Platz auf dem Hügel in Abbots Quay und fragte sich, ob das hier der von Mirsky sei.
»Ich weiß nicht, wo Ihr Scheißvater ist, okay?« sagte Mirsky, und es klang widerwillig komplizenhaft. »Das ist die Wahrheit. Ich sage Ihnen die Wahrheit, und dann Sie verschwinden aus meinem Leben, verdammt, Sie lassen mein Haus, meine Frau, meine Kinder in Ruhe, Sie gehen in Ihr Scheißengland zurück oder sonstwo, mir völlig egal. Ich bin ein Familienmensch. Familie bedeutet mir viel. Ich habe Ihren Vater gemocht, okay? Ich find´s schade, daß er tot ist, okay? Sehr schade. Also hauen Sie ab, gehn Sie nach Hause, gründen Sie eine neue Dynastie und vergessen Sie, daß Sie ihn gekannt haben. Ich bin anständiger Anwalt. Und das bin ich gern. Kein Gangster mehr, nur wenn nötig.« »Wer hat ihn getötet?«
»Vielleicht haben sie es noch nicht getan. Vielleicht töten sie ihn morgen, heute nacht, was macht das schon? Wenn Sie ihn finden, ist er tot. Und Sie dann auch.« »Wer wird ihn getötet haben?«
»Sie alle. Die ganze Familie. Jewgenij, Tinatin, Hoban, alle Vettern, Onkel, Neffen, was weiß ich, wer ihn tötet? Jewgenij hat Blutrache wiedererfunden, hat ganze verfluchte Menschheit den Krieg erklärt, ohne Ausnahme. Er kommt aus Kaukasus. Jeder muß zahlen. Tiger, Tigers Sohn, der Hund seines Sohns, sein Scheißkanarienvogel.«
»Und das alles wegen der Free Tallinn?«
»Die Free Tallinn hat alles verdorben. Bis Weihnachten - okay, wir haben einiges unternommen. Massingham, ich, Hoban - wir hatten genug von den Fehlern der anderen, wir fanden, es war Zeit, sich neu zu organisieren, Sicherheit zu verbessern, moderner zu werden.«
»Die alten Männer loszuwerden«, meinte Oliver. »Den Laden zu übernehmen.«
»Ja
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