Untitled
die Traktoren auf. Gelbe Landwirtschaftstraktoren. Falls ich jemals den einen oder anderen Traktor brauchen sollte, kann ich mir immer welche in Bethlehem leihen, und die kriegen das noch nicht mal mit, dachte er belustigt. Er zwang seine Gedanken nach außen. Das hatte er sich fest vorgenommen. Beim Anflug hatte er die Majestät der Berge bewundert. Bei der Landung hatte er die vier Dörfer bewundert, die Kreuzform des Tals, den Goldrand der beschneiten Gipfel. Jetzt beim Gehen bewunderte er die Traktoren. Sieh dir an, was du willst, sagte er sich, solange du nur nach außen siehst, nicht nach innen.
Verlassene Traktoren. Traktoren zum Bau neuer Straßen, die plötzlich keine Straßen mehr gewesen waren und sich wieder in Äcker verwandelt hatten. Traktoren zum Einebnen von Gelände für den Häuserbau, zum Anlegen von Bewässerungs- und Abwasserkanälen, zum Abtransport gefällter Bäume, nur daß es hier keine neuen Häuser gab, die Rohre gestapelt, aber nicht verlegt waren und die Bäume noch genau da lagen, wo sie hingefallen waren. Traktoren, die wie Schnecken in ihren klebrigen Spuren steckten. Traktoren, die wehmütig zu den glänzenden Gipfeln hinaufsahen. Untätig. Nicht ein einziger von ihnen bewegte sich, nichts, kein bißchen. Einfach im Stich gelassen, zwischen halb bepflanzten Weinbergen und halbfertigen Pipelines. An unsichtbare Prellböcke gefahren, und nirgends ein Fahrer.
Sie überquerten Eisenbahnschienen. Unkraut wucherte zwischen den Rädern verlassener Kippwaggons. Ziegen stakten über die Schwellen. Es ist gefährlich, sagt Zoya. Wenn er viel Geld schickt, wird er toleriert. In letzter Zeit hat er nicht viel Geld schicken können. Deshalb ist es gefährlich. Die Bewohner von Steinhütten standen in den Türen und musterten ihn feindselig. Seine Begleiter waren auch nicht freundlicher. Der Junge links von ihm war voller Narben und gebärdete sich wie ein Alter. Der Junge rechts von ihm hinkte und ächzte dazu im Takt. Beide trugen automatische Gewehre. Beide benahmen sich, als gehörten sie einem geheimen Orden an. Sie führten ihn zu dem Bauernhaus, allerdings nicht auf dem vertrauten Weg. Gräben, abgesoffene Fundamente und ein zusammengebrochener Steg blockierten den alten Weg. Kühe und Esel grasten in einer Kolonie regloser Zementmischer. Aber dann näherten sich Oliver und seine Begleiter dem Bauernhaus, und es sah noch ziemlich so aus, wie er es in Erinnerung hatte: die ausgetretenen Treppenstufen, die Eichenveranda, die weit offenen Türen und drinnen noch immer dieselbe Finsternis. Sein hinkender Begleiter zeigte auf die Treppe. Als Oliver zum Balkon hinaufstieg, hallten seine Schritte dumpf durch die Abendluft. Er klopfte an die offene Tür, aber es kam niemand. Er trat in die Finsternis und blieb stehen. Kein Geräusch, keine Essensdüfte aus Tinatins Küche. Nur ein modrig süßer Geruch, der bezeugte, daß hier vor kurzem ein Toter gelegen hatte. Oliver erkannte Tinatins Schaukelstuhl, die Trinkhörner, den Eisenofen. Dann den gemauerten Kamin und das Bild der melancholischen alten Frau in dem zerbröckelnden Gipsrahmen. Er fuhr herum. Eine kleine Katze war aus dem Schaukelstuhl gesprungen und wölbte ihm den Rücken entgegen; er mußte an Jacko denken, Nadias Siamkater. Er rief: »Tinatin?« Er wartete: »Jewgenij?«
Langsam öffnete sich hinten im Zimmer eine Tür, und ein Strahl der Abendsonne fiel auf den Fußboden. Im Zentrum des Lichtstrahls glaubte er den krummen Schatten eines Kobolds zu sehen. Und dann, etwas später, erschien Jewgenij, gebrechlicher, als Oliver in seinen schlimmsten Träumen erwartet hatte; er trug Pantoffeln und eine Wolljacke und stützte sich auf einen Stock. Sein einst braunes Haar war weißen Stoppeln gewichen, die sich als silbriger Flaum auch über Wangen und Kinn ausgebreitet hatten. Die listigen alten Augen, die vor vier Jahren zwischen dichten Wimpern hervorgeblitzt hatten, waren nur noch düstere Schlitze. Und hinter Jewgenij, halb Diener, halb Teufel, ragte in weißem Sommerjackett und dunkelblauer Hose die kalte, makellose Gestalt Alix Hobans auf; der schwarze Zauberkasten seines tragbaren Telefons baumelte wie eine Handtasche an seinem Unterarm. Und vielleicht war er ja, wie Zoya behauptet hatte, tatsächlich der Teufel, denn wie der Teufel warf er keinen Schatten, beziehungsweise erst, als dieser sich neben Jewgenijs Kobold legte.
Jewgenij sprach als erster, und seine Stimme war so fest und
nicht herkommen. Das war ein Fehler. Geh nach
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