Untitled
Glück - und Wohlstand Oliver, ich gratuliere dir. Gut siehst du aus als Vater. Mir scheint, du bist sogar noch größer geworden. Auf Carmen.« Und du bist geschrumpft, dachte Oliver wütend, als seine Tochter auf diese Weise ans Licht gezerrt und vorgeführt wurde. Jetzt hast du das ganze Ausmaß deiner monströsen, unendlichen Nichtigkeit offenbart. Am Rand des Todes fällt dir nichts besseres ein, als dich auf deine ungeheure Banalität zu berufen.
Doch Oliver ließ sich davon nichts anmerken. Während er zustimmend und ermunternd sein Glas vor Tinatin erhob, jedoch nicht vor Hoban, und unbekümmert zwischen Küche und Tisch und den zwei alten Männern am Kamin hin und her ging, hatte er nichts anderes im Sinn, als eine Stimmung behutsamer guter Kameradschaft aufzubauen. Nur Hoban, der auf einer Bank zwischen zwei mürrischen Kumpanen saß und sich an seinem Zaubertelefon festhielt, machte nicht den Eindruck, als ob er sich von der Stimmung der anderen anstecken lassen wollte. Aber seine verbitterte, finstere Person brachte Oliver nicht aus dem Konzept. Nichts konnte ihn entmutigen. Der Zauberer erwachte zum Leben. Der Magier, der ewige Beschwichtiger und Abwiegler des Lächerlichen, der Eiertänzer und Schöpfer unmöglicher Lebensläufe folgte dem Ruf des Rampenlichts. Der Oliver der regengepeitschten Buswartehäuschen, der Kinderkliniken und HeilsarmeeHerbergen, spielte um sein Leben, um Tigers Leben, während Tinatin Essen machte und Jewgenij mit halbem Ohr zuhörte und in den Flammen seine Schicksalsschläge zählte und Hoban und seine Mitteufel verbissen auf Unheil sannen und ihre schwindenden Möglichkeiten überdachten. Und Oliver kannte sein Publikum. Er spürte instinktiv, wie verwirrt es war, wie betäubt, wie unsicher, zu wem es halten sollte. Er wußte, wie oft er selbst in seinem Leben, in zutiefst deprimierten Momenten, alles dafür gegeben hätte, wenn ihm nur plötzlich ein lausiger Zauberer mit einem ausgestopften Waschbären erschienen wäre.
Selbst Jewgenij konnte seiner Zauberei allmählich nicht mehr
Briefträger?« rief er vorwurfsvoll von seinem Platz am Kamin, als der verlorene Sohn ihm wieder einmal nachgeschenkt hatte. Und etwas später: »Warum hast du unser geliebtes Georgisch aufgegeben?« Auf beide Fragen gab Oliver die entwaffnende Antwort, auch er sei nur aus Fleisch und Blut, er sei untreu gewesen, habe aber seine Fehler eingesehen. Und derlei scheinbar harmlose Wortwechsel schufen eine Art Wahn, eine gemeinsame Illusion von Normalität. Als das Essen fertig war, rief Oliver alle zu Tisch und ließ Jewgenij widerspruchslos am Kopfende Platz nehmen. Dort saß der alte Mann eine Zeitlang, ließ den Kopf hängen und starrte auf das Essen. Dann, als habe der Anblick ihn wiederbelebt, richtete er sich auf, ballte die Fäuste, dehnte die breite Brust und brüllte nach mehr Wein. Und Tinatin schickte Hoban, nicht Oliver, um die Flasche zu holen.
»Was soll ich mit dir machen, Briefträger?« fragte Jewgenij mit Tränen in den Winkeln seiner fast verschwundenen Augen. »Dein Vater hat meinen Bruder getötet. Sag es mir!« Aber Oliver widersprach mit gefährlicher Aufrichtigkeit: »Jewgenij, ich bin wirklich sehr traurig, daß Michail tot ist. Aber mein Vater hat ihn nicht getötet. Mein Vater ist kein Verräter, und ich bin nicht der Sohn eines Verräters. Ich verstehe nicht, warum du ihn wie ein Tier behandeln mußt.« Er sah verstohlen zu Hoban hinüber, der teilnahmslos zwischen seinen nervösen Beschützern saß. Und als Oliver bemerkte, daß sein Telefon nirgends zu sehen war, schloß er daraus zufrieden, daß Hoban entweder die Freunde oder die Zaubersprüche ausgegangen waren. »Jewgenij, ich denke, wir genießen deine Gastfreundschaft, und mit deinem Segen brechen wir auf, sobald es hell wird«, sagte er.
Und Jewgenij schien geneigt, diesem Vorschlag zuzustimmen bis Tiger, der nicht der Versuchung widerstehen konnte, das Gespräch an sich zu reißen, alles wieder kaputtmachte: »Laß mich mal, wenn´s dir nichts ausmacht, Oliver. Unsere Gastgeber sehen das - vor allem wohl auf Betreiben unseres Freundes Alix Hoban hier - doch ziemlich anders - nein, selbst ausgeliefert habe, zwei Trümpfe in der Hand zu haben. Erstens - nicht wenn ich spreche, Oliver, vielen Dank - erstens, daß sie mich jetzt überreden können, ihnen alles zu überschreiben, was sie nun schon seit Monaten von mir verlangen. Zweitens, daß sie Rache für den Tod Michails nehmen können, und zwar aus der
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