Untitled
Fenster, ob nicht ein blauer Mercedes vorfährt, um uns irgendwohin mitzunehmen. Meistens regnet es aber nur.« Er stand an Carmens Bett und betrachtete sie. Er beugte sich über sie, bis er ihre Wärme roch und ihren Atem hörte. Als sie schniefte und aufzuwachen schien, packte Heather ihn am Handgelenk und ging mit ihm auf den Flur, durch die offene Haustür und den Weg hinunter. »Du mußt hier weg«, sagte er.
Sie verstand ihn nicht. »Nein«, sagte sie. »Höchstens du.« Er starrte sie an, ohne sie richtig wahrzunehmen. Er zitterte. Sie spürte das Zittern in seinem Handgelenk, ehe sie ihn losließ. »Weg von hier«, erklärte er. »Ihr beide. Geh nicht zu deiner Mutter oder zu deinen Schwestern, das wäre zu naheliegend. Geh zu Norah.« Norah war ihre Freundin, mit der sie immer, wenn sie Streit gehabt hatten, stundenlang zum höchsten Tagestarif telefoniert hatte. »Sag ihr, du müßtest einfach mal ein bißchen raus. Sag ihr, daß ich dich zum Wahnsinn treibe.« »Und was ist mit meiner Arbeit, Oliver? Was soll ich Toby sagen?« »Dir fällt schon was ein.«
Sie hatte Angst. Angst vor dem, was Oliver angst machte, auch wenn sie nicht wußte, was es war. »Oliver, um Gottes willen.« »Ruf Norah noch heute abend an. Ich schicke dir Geld. So viel, wie du brauchst. Es kommt jemand und erklärt dir alles.« »Warum kannst du es mir nicht selbst erklären?« schrie sie ihm nach.
Er fuhr zu seinem geheimen Versteck, keine zehn Minuten vom Bungalow entfernt am Ende eines in den bewaldeten Hang geschlagenen Wirtschaftswegs. Dort hatte er früher seine Zauberkunststücke einstudiert, die Ballonnummer, die kreisenden Teller, das Jonglieren, das ihm anfangs so schwergefallen war. Dorthin hatte er sich immer zurückgezogen, wenn er Angst hatte, daß er sie schlagen oder das Haus zertrümmern oder sich vor Wut über sein abgestorbenes Gefühlsleben umbringen würde. Dort oben hatte er bei offenem Fenster in seinem Lieferwagen gesessen und gewartet, daß sein Atem sich beruhigte, hatte dem Knistern der Kiefern gelauscht, den nächtlichen Schreien der Möwen, dem sorgenvollen Gemurmel anderer Leute, das aus dem Tal zu ihm hinaufdrang. Manchmal hatte er die ganze Nacht da gesessen und über die Bucht geschaut. Manchmal hatte er sich selbst bei Flut auf der Kaimauer gesehen, wie er die Schuhe auszog und mit den Füßen zuerst in die schäumende Gischt sprang. Oder das Meer wurde zum Bosporus, und er stellte sich das Hin und Her kleiner und großer Boote vor, die ständig beinahe zusammenstießen. Er parkte an der üblichen Stelle, stellte den Motor aus und gab auf den grünen Tasten seines Autotelefons Brocks Nummer ein. Er hörte die wechselnden Töne, als sein Anruf zurückverfolgt wurde, und daß er richtig gewählt hatte, bewies ihm eine Frauenstimme, die ihm die Nummer noch einmal aufsagte - mehr bekam er nie von ihr zu hören, denn ihre Stimme war aufgezeichnet, ein unerreichbares abstraktes Etwas. »Benjamin für Jacob«, sagte er.
Wieder atmosphärische Störungen, dann die Stimme von Tanby, Brocks abgemagertem Schatten. Der leichenblasse Tanby aus Cornwall, der Brocks Wagen für ihn steuert, wenn er mal eine Stunde Schlaf nachholen muß. Der für Brock das Essen vom Chinesen holt, wenn er seinen Schreibtisch nicht verlassen kann. Der für ihn als Strohmann agiert, für ihn lügt, mich die Treppe hochschleppt, wenn ich im Suff nicht mehr gehen kann. Tanby, die ruhige Stimme im Sturm, der Mann, den man mit vor Wut feuchten Händen am liebsten erwürgen würde.
»Na, das ist aber mal eine Überraschung, Benjamin«, sagte Tanby bestens gelaunt. »Besser spät als nie, würde ich sagen.«
»Er hat uns gefunden«, sagte Oliver.
»Ja, Benjamin, das fürchte ich auch. Und der Skipper würde gern so bald wie möglich mit Ihnen darüber reden, unter vier Augen. Morgen vormittag um elf Uhr fünfunddreißig geht bei Ihnen da oben ein Schnellzug ab, falls Ihnen das recht ist. Der übliche Ort, das übliche Vorgehen. Der Skipper sagt, Sie sollen
Ihre Zahnbürste und ein paar bessere Anzüge mitbringen, und
die dazu passenden Sachen, besonders Schuhe. Haben Sie
die Zeitungen gesehen?«
»Was für Zeitungen?«
»Also nicht. Gut. Der Skipper möchte nur nicht, daß Sie sich Sorgen machen. Allen, die Ihnen am Herzen liegen, geht es gut, soll ich Ihnen ausrichten. Keine Verluste in der Familie, bis jetzt jedenfalls. Sie können beruhigt sein.« »Was für Zeitungen?«
»Nun, ich selbst lese den Express.«
Oliver fuhr
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