Untitled
langsam in den Ort zurück. Seine Nackenmuskeln schmerzten. Etwas Seltsames ging in den großen Adern vor, die zum Kopf führten. Der Zeitungskiosk am Bahnhof hatte geschlossen. Er fuhr zu einer Bank, nicht seiner, und hob zweihundert Pfund am Automaten ab. Er fuhr zum Hafen und traf Eric an dem üblichen Ecktisch in der Brasserie auf der anderen Seite des Platzes; Eric aß, was er immer aß, seit er im Ruhestand war: Leber, Pommes frites und matschige Erbsen, dazu ein Glas chilenischen Roten. Eric war mit Max Miller und als Ersatzmann bei der Crazy Gang aufgetreten. Er hatte Bob Hope die Hand geschüttelt und, wie er gern erzählte, mit jedem hübschen Knaben aus dem Chor geschlafen. Wenn Oliver auf Sauftour ging, trank Eric mit ihm und entschuldigte sich ständig dafür, daß er in seinem Alter nicht mehr mit Olivers Konsum mithalten konnte. Und wenn es nötig war, nahm Eric Oliver in seine Wohnung mit, die er mit einem kränklichen jungen Friseur namens Sandy teilte, klappte die Bettcouch im Wohnzimmer auf, damit Oliver sich schön ausschlafen konnte, und setzte ihm zum Frühstück Bohnen in Tomatensoße vor.
»Na, wie läuft´s, Eric?« fragte Oliver, und Eric zog sogleich die clownhaft runden Augenbrauen hoch, die er mit Haarfarbe zu tönen pflegte.
»Rauf und runter, mein Sohn, um es mal so zu sagen. Die Nachfrage nach tattrigen Schwulen, die mit Origami und Vogelimitationen auftreten, hält sich in letzter Zeit in Grenzen. Oliver riß ein Blatt aus seinem Notizbuch und schrieb darauf eine Liste seiner Engagements für die nächsten Tage. »Mein Vormund, Eric«, erklärte er. »Er hatte einen Herzinfarkt und verlangt jetzt nach mir. Und hier ist noch etwas zusätzlich.« Er schob ihm die zweihundert Pfund zu.
»Nimm´s dir nicht zu sehr zu Herzen, mein Sohn«, ermahnte ihn Eric, während er das Geld in seiner buntkarierten Jacke verstaute. »Nicht du hast den Tod erfunden. Das war Gott. Gott hat sich für vieles zu verantworten, wenn du Sandy fragst.« Mrs. Watmore wartete noch auf ihn. Sie sah bleich und verängstigt aus, so wie damals, als Cadgwith gekommen war, um sich Sammy vorzuknöpfen.
»Er hat mindestens ein dutzendmal angerufen«, platzte sie heraus. »›Wo steckt dieser Ollie? Sagen Sie ihm, er hat keinen Grund, vor mir davonzulaufen.‹ Und als nächstes steht er bei mir vor der Tür, drückt auf die Klingel, hämmert auf meinem Briefkasten herum und weckt die Nachbarn auf.« Ihm ging auf, daß sie von Toogood sprach. »Ich kann mir keinen Arger leisten, Ollie. Auch Ihnen zuliebe nicht. Ich stecke bis zum Hals in Schulden, ich habe Nachbarn, ich habe Mieter, ich habe Sammy. Oliver, das ist mir zuviel mit Ihnen, und ich weiß nicht warum.«
Sie dachte, er habe ihr nicht zugehört, denn er stand über den Tisch am Eingang gebeugt und las ihren Daily Telegraph, was ganz und gar nicht für ihn typisch war. Er haßte Zeitungen und machte geradezu Umwege, um ihnen aus dem Weg zu gehen. In der Annahme, er wolle sie nur abwimmeln, wollte Mrs. Watmore ihm schon sagen, er solle die Zeitung in Ruhe lassen und ihr eine vernünftige Antwort geben. Als sie ihn dann aber ruhiger betrachtete, sagten ihr seine wachsame Haltung und ihre eigene Intuition, daß jetzt offenbar eingetreten war, wovor sie sich immer gefürchtet hatte, und daß er für sie und auch für Sammy schon nicht mehr vorhanden war, daß es vorbei war. Und sie wußte, auch wenn sie dieses Wissen nicht in Worte fassen konnte, daß er sich während der ganzen Zeit seines Aufenthalts hier im Haus vor etwas versteckt hatte, nicht nur vor seinem Kind oder seiner Ehe, sondern auch vor sich selbst, und zwar vor dem, was ihr verstorbener Mann sein menschliches Kaliber genannt hätte. Und daß das, wovor auch immer er davongelaufen sein mochte, bedrohlicher als Frau und Kind war und ihn jetzt endlich aufgespürt hatte.
ANWALT AUF URLAUB IN DER TÜRKEI ERSCHOSSEN, las Oliver. Darunter ein Foto von Alfred Winser, Leiter der Rechtsabteilung des Londoner Finanzhauses Single & Single, sein strenges Juristengesicht mit der Hornbrille, die er nur aufsetzte, wenn eine neue Sekretärin zum Vorstellungsgespräch erschien. Identifikation des Leichnams verzögert sich durch landesweite Suche nach der Witwe, die nach Aussage ihrer Mutter die Abwesenheit ihres Mannes zu einem Rundum-Erholungsurlaub nutzt. Todesursache steht noch nicht fest, ein Verbrechen ist nicht auszuschließen, Gerüchte vom Wiederaufflammen kurdischer Terrorakte in der Region.
Sammy stand in
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