Untitled
unruhig »mit der Zahnbürste in der Tasche« bereithalten, um jederzeit nach Leningrad, Moskau, Tiflis oder Odessa fliegen zu können, oder wo auch immer die Orlows sich gerade aufhalten mögen. Heute sind die zwei Berge zum Propheten gekommen. Begleitet werden sie Oliver identifiziert sie sofort am linken und rechten Rand des Gruppenfotos - von zwei Männern, die er richtig als Kofferträger einstuft: Der eine ist blond, durchtrainiert, blaßhäutig und höchstens so alt wie Oliver, der andere ist ein dicker Fünfzigjähriger und hat alle drei Knöpfe seines Jacketts geschlossen.
Und Zigarrenqualm, in dicken Wolken! Unglaublicher, unmöglicher Zigarrenqualm! Und zwischen den Papieren auf dem Tisch ganz ungewohnte Aschenbecher! Für Oliver ist nichts in diesem Raum, nicht einmal die Orlow-Brüder, von solchem Belang wie dieser verhaßte, in alle Ewigkeit verdammte Zigarrenqualm, der durch die verdünnte Luft des Allerheiligsten wallt und sich als pilzförmige Wolke über dem gepflegten Haupt des »Tabakfeindes Nummer eins« - Vogue - erhebt. Tiger verabscheut Rauchen mehr als Mißerfolg und Widerspruch. Alljährlich vor dem Bilanzstichtag spendet er einen enormen Betrag steuerpflichtigen Einkommens für den Kampf gegen das Rauchen. Aber heute steht auf der Anrichte ein nagelneuer, mit Silber beschlagener Humidor von Asprey in der New Bond Street, der mit den kostspieligsten Zigarren des Universums gefüllt ist. Jewgenij raucht gerade eine davon, ebenso der Kofferträger mit den drei Knöpfen. Nichts anderes hätte Oliver die unerhörte Bedeutung dieses Treffens besser vor Augen führen können.
Tiger macht zunächst eine stichelnde Bemerkung, doch Sticheleien sind für Oliver untrennbar mit der Beziehung zu seinem Vater verbunden. Wenn man es in Designerschuhen mit erhöhten Absätzen auf einen Meter sechzig bringt, und wenn der Sohn einen Meter neunzig groß hoch aufragt, dann ist es nur natürlich, daß man ihn vor anderen zurechtstutzen möchte und nur recht und billig und Olivers Pflicht und Schuldigkeit, an seiner Verkleinerung mitzuwirken.
»Du liebe Zeit, was hat dich aufgehalten, mein Sohn?« ruft Tiger in einem Tonfall, der den anderen Mißbilligung vorspielen soll. »Letzte Nacht mal wieder in der Stadt rumgetrieben, nehme ich an. Wie heißt sie diesmal? Kann nur hoffen, daß sie mich nicht ein Vermögen kostet!«
Oliver, kein Spielverderber, steigt auf den Scherz ein. »Sie ist ziemlich wohlhabend, Vater - steinreich, um´s genau zu sagen.«
»Ach ja, wirklich? Ist sie das? Na, das ist ja mal was ganz Neues! Vielleicht bekommt der alte Herr dann diesmal sein Geld zurück. Was?«
Und mit diesem Was wirft er Jewgenij Orlow einen raschen Seitenblick zu - und hebt und senkt dabei die kleine Faust, die kühn auf Jewgenijs breiter Schulter ruht -, wodurch er ihm mit Olivers Einverständnis andeuten will, daß der junge Grünschnabel hier dank der Freigebigkeit seines nachsichtigen Vaters zur Zeit ein Lotterleben führt. Doch das ist Oliver gewöhnt. Solche Szenen kennt er seit seiner Kindheit. Wenn Tiger es von ihm verlangt hätte, hätte er jetzt seine passable Imitation von Margaret Thatcher oder von Humphrey Bogart in Casablanca zum besten gegeben oder die komische Geschichte von den zwei Russen erzählt, die in den Schnee pinkeln. Aber Tiger verlangt es nicht, jedenfalls nicht an diesem Vormittag, und so schiebt sich Oliver nur grinsend die Haare nach hinten, als Tiger ihn nun verspätet seinen Gästen vorstellt. »Oliver, gestatte mir, dich mit einem der hervorragendsten, furchtlosesten, weitblickendsten Pioniere des neuen Rußland bekanntzumachen, einem Gentleman, der sich wie ich mit bloßen Fäusten auf das Leben gestürzt und gewonnen hat. Menschen wie uns gibt es heutzutage leider viel zu selten -« Pause, damit Randy Massingham, der hinter ihnen steht, seine Worte in exaußenministerielles Russisch übersetzen kann »Oliver, darf ich vorstellen: Mr. Jewgenij Iwanowitsch Orlow und sein bemerkenswerter Bruder Michail. Jewgenij, das ist mein Sohn Oliver, mit dem ich recht zufrieden bin; ein Mann des Rechts, ein Mann von Format, wie Sie sehen, ein gebildeter und kluger Mann, ein Mann der Zukunft. Kein guter Sportler, das ist wahr. Ein miserabler Reiter, und als Tänzer ein Trampel« - ein Heben der Filmstarbrauen kündigt die bekannte Pointe an - »aber er kopuliert, so sagen die Gerüchte, wie ein Weltmeister!« Daß das Thema bereits vor seinem Erscheinen erörtert wurde, erkennt Oliver an dem
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