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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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sei selbstgemacht und komme aus Bethlehem. Auf dem Eßtisch aus Birkenholz sind Platten mit Kaviar, Räucherwurst, gewürzten Hühnerschenkeln, selbstgeräucherten Lachsforellen, Oliven und Mandelkuchen wahllos übereinander gehäuft, so daß kein Quadratzentimeter der wunderbar polierten Oberfläche mehr zu sehen ist. Jewgenij und Oliver haben an den beiden Enden des Tischs Platz genommen. Zwischen ihnen sitzen die breitschultrigen Töchter neben ihren schweigsamen Männern, das heißt alle bis auf Zoya, die melancholisch für sich alleine dasitzt, wie es sich gehört; sie hat den kleinen Paul auf den Knien und füttert ihn, als ob er krank wäre, und nur selten führt sie den Löffel an die eigenen vollen, ungeschminkten Lippen. Doch Oliver stellt sich vor, daß ihre dunklen Augen nur auf ihn gerichtet sind, wie die seinen auf sie, und in Paul erblickt er ein Abbild ihrer vergeistigten Einsamkeit. Nachdem er sie erst als RembrandtModell, dann als Tschechowsche Heldin betrachtet hat, muß er nun schockiert mitansehen, wie sie den Kopf hebt und die mißbilligende Miene einer Ehefrau aufsetzt, als Alix Hoban, begleitet von zwei verkniffen dreinblickenden jungen Männern in Anzügen und mit dem Handy am Ohr den Raum betritt, einen flüchtigen Kuß auf eben die Schulter setzt, die Oliver in seiner Phantasie gerade noch mit leidenschaftlichen Küssen bedeckt hat, Paul in die Wange kneift, daß der vor Schmerz laut aufschreit, und sich, ohne sein Telefonat zu unterbrechen, auf den Stuhl neben ihr wirft.
    »Sie kennen meinen Mann bereits, Oliver?« fragt Zoya. »Selbstverständlich. Ich habe ihn schon mehrmals gesehen.« Oliver und Jewgenij toasten sich über den langen Tisch hinweg mehrmals zu. Sie haben auf Tiger getrunken, auf ihre jeweiligen Familien, ihre Gesundheit, ihr Wohlergehen und schließlich, obwohl dies noch die Zeit des Kommunismus ist, auf die Toten, die bei Gott versammelt sind.
    »Du nennst mich Jewgenij und ich nenne dich Briefträger!« ruft Jewgenij. »Was dagegen, wenn ich dich Briefträger nenne?« »Nenn mich, wie du willst, Jewgenij!«
    »Ich bin dein Freund. Ich bin Jewgenij. Weißt du, was Jewgenij
bedeutet?«
»Nein.«
    »Es bedeutet von hoher Abstammung. Es bedeutet, daß ich etwas Besonderes bin. Bist du auch etwas Besonderes?« »Jedenfalls bilde ich mir das gerne ein.«
    Wieder lautes Rufen. In Silber gefaßte Bockshörner werden gebracht und bis zum Rand mit selbstgemachtem Wein aus Bethlehem gefüllt.
    »Auf die Besonderen! Auf Tiger und seinen Sohn! Wir lieben
euch! Liebt ihr uns?«
»Ja, sehr.«
    Oliver und die Brüder trinken auf ihre Freundschaft, indem sie die Hörner auf einen Zug leeren und dann umdrehen, zum Beweis, daß sie auch wirklich leer sind.
    »Jetzt bist du ein echter Mingrelier!« verkündet Jewgenij, und wieder fühlt Oliver Zoyas tadelnde Blicke auf sich ruhen. Aber diesmal bemerkt Hoban es auch, und vielleicht ist das von ihr beabsichtigt, denn er stößt ein heiseres Lachen aus und zischt zwischen den Zähnen etwas auf Russisch, was sie mit einem frostigen Grinsen erwidert.
    »Mein Mann ist überglücklich, daß Sie nach Moskau gekommen sind, um uns zu helfen«, erklärt sie. »Er hat Blut sehr gern. Das ist sein Metier. Sagt man das, Metier?« »Nicht direkt.«
    Eine betrunkene nächtliche Billardpartie im Keller. Michail überwacht als Trainer und Schiedsrichter Jewgenijs Stöße. Schalwa sieht ihnen von einer Ecke aus zu, Hoban steht in einer anderen und verfolgt mit hochmütigem Blick jede Bewegung der Spieler, während er gleichzeitig in sein Handy murmelt. Mit wem spricht er in so zärtlichem Ton? Mit seiner Geliebten? Mit seinem Börsenmakler? Wohl kaum, denkt Oliver. Er stellt sich Männer vor, die wie Hoban im Dunkeln stehen, die in dunklen Anzügen in dunklen Hauseingängen auf die Stimme ihres Herrn warten. Den messingbeschlagenen Queues fehlen die Spitzen. Die vergilbten Kugeln passen kaum in die spitzwinkligen Taschen. Der Tisch hat Schräglage, das Tuch ist zerschlitzt und ausgeleiert von früheren Festlichkeiten, die Banden klappern, wenn sie getroffen werden. Jedesmal wenn einem Spieler das seltene Kunststück gelingt, eine Kugel einzulochen, brüllt Michail den Spielstand auf Georgisch, und Hoban übersetzt ihn verächtlich ins Englische. Wenn Jewgenij wie fast immer danebenstößt, reagiert Michail mit einer gutgeölten kaukasischen Verwünschung auf die Kugel, den Tisch oder die Bande, nie jedoch auf seinen angebeteten Bruder. Hobans Verachtung

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