Untitled
hingegen wächst mit jedem neuen Beweis für die Unfähigkeit seines Schwiegervaters: wie er tief Luft holt, als unterdrückte er einen Schmerzensschrei, wie er die schmalen Lippen zu einer hämischen Grimasse verzieht, während er weiter in sein Handy spricht. Tinatin erscheint, um Jewgenij mit einer Anmut, die Olivers Herz dahinschmelzen läßt, ins Bett zu geleiten. Draußen wartet ein Fahrer, der Oliver zu seinem Hotel zurückbringen soll. Schalwa begleitet ihn zu dem Zil. Als Oliver sich beim Einsteigen noch einmal liebevoll nach dem Haus umdreht, erblickt er an einem der oberen Fenster Zoya; sie sieht zu ihm hinunter, ohne Kind und mit entblößter Brust.
Am nächsten Morgen, bei leicht bedecktem Himmel, holt Jewgenij Oliver ab, um ihn mit einigen guten Georgiern bekanntzumachen. Mit Michail am Steuer fahren sie von einem grauen Wohnblock zum andern. Im ersten führt man sie durch einen mittelalterlichen Gang, in dem es nach altem Eisen riecht - oder ist es Blut? Im nächsten umarmt sie ein Siebzigjähriger mit Eidechsenaugen und nötigt ihnen süßen Kaffee auf; der Mann ist ein Überbleibsel der Breschnew-Ära und bewacht seinen großen schwarzen Schreibtisch wie ein Kriegerdenkmal. »Sie sind Tigers Sohn?« »Ja, Sir.«
»Wie kann ein so kleiner Mann so große Kinder machen?« »Offenbar hat er das Rezept dazu.« Lautes Lachen.
»Wissen Sie, welches Handicap er hat?«
»Zwölf, hat man mir erzählt.« Man hat ihm nichts dergleichen erzählt.
»Sagen Sie ihm, Dato hat elf. Da dreht er durch.«
»Ich sag´s ihm.«
»Rezept! Das ist gut!«
Und der Umschlag, von dem nie gesprochen wird: der Umschlag, groß und aus schlechtem Papier, den Jewgenij aus seiner Aktentasche zaubert und, während man noch von angenehmeren Dingen spricht, über den Schreibtisch schiebt. Und der schmierig gesenkte Blick, mit dem Dato demonstrativ achtlos den Weg des Umschlags verfolgt. Was ist darin? Kopien des Vertrags, den Jewgenij gestern unterzeichnet hat? Dafür ist er zu dick. Ein Bündel Banknoten? Dafür ist er zu dünn. Und wo sind wir hier überhaupt? Im Blutministerium? Und wer ist Dato?
»Dato stammt aus Mingrelien«, bemerkt Jewgenij selbstgefällig. Im Auto blättert Michail langsam im Raubdruck eines amerikanischen Comics herum. Oliver kommen plötzlich Zweifel, die sein Gesicht nicht schnell genug verhehlen kann: Michail kann lesen?
»Michail ist ein Genie«, brummt Jewgenij, als habe Oliver die Frage tatsächlich laut gestellt. Sie kommen in ein Penthouse mit gepflegten Sekretärinnen, Börsenkurse aus aller Welt anzeigen. Dort begrüßt sie ein schlanker junger Mann, der Iwan heißt und einen italienischen Anzug trägt. Jewgenij gibt ihm den gleichen Umschlag wie Dato.
»Und? Wie sieht´s heute in der alten Heimat aus?« erkundigt sich Iwan in einem blasierten Oxford-Englisch, das noch aus den dreißiger Jahren stammt. Ein schönes Mädchen stellt ein Tablett mit Campari und Soda auf eine Kredenz aus Rosenholz, die ebenfalls aussieht, als habe sie einmal in einem Petersburger Museum gestanden. »Chin-chin«, sagt Iwan. Schließlich landen sie in einem westlich wirkenden Hotel nicht weit vom Roten Platz. Männer in Zivil bewachen die Pendeltüren, im Foyer sprudeln rosa Springbrunnen, ein Kronleuchter aus Kristall beleuchtet den Aufzug. In der zweiten Etage stehen weibliche Croupiers in tief ausgeschnittenen Kleidern an menschenleeren Roulettetischen und sehen hinter ihnen her. An der Tür mit der Nummer 222 drückt Jewgenij auf eine Klingel. Hoban empfängt sie. In einem kreisrunden, von Rauchschwaden erfüllten Empfangszimmer sitzt in einem vergoldeten Sessel ein bärtiger, verbittert dreinschauender Dreißigjähriger mit Namen Stepan. Vor ihm steht ein vergoldeter Couchtisch. Jewgenij stellt die Aktentasche darauf ab. Hoban hat wie immer alles im Blick.
»Hat Massingham endlich die Scheißjumbos aufgetrieben?« will Stepan von Oliver wissen.
»Ich hatte bei meiner Abreise in London den Eindruck, daß wir sofort anfangen können, wenn Sie hier so weit sind«, antwortet Oliver steif.
»Sind Sie der Sohn des britischen Botschafters oder irgendso ein Scheiß?«
Jewgenij sagt zu Stepan etwas auf Georgisch. Es klingt drohend und nachdrücklich. Stepan erhebt sich widerwillig und streckt eine Hand aus.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Oliver. Wir sind Blutsbrüder, okay?«
»Okay«, stimmt Oliver zu. Ein lautes gezwungenes Lachen, das Oliver ganz und gar nicht gefällt, hallt ihm noch auf dem ganzen Rückweg
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