Untitled
glitzernd auf einem rosa Orientteppich mitten in einem großen Salon steht. Die Familie versammelt sich an der Tür - doch Oliver hat nur Augen für Zoya -, Jewgenij schleudert die Schuhe von sich, steigt auf den Rücken des Tiers, senkt den Oberkörper auf den Sattel, klemmt die Füße um die Pedale und jagt den Motor hoch bis zum Anschlag, und als der Lärm wieder erstirbt, blickt er zwischen seinen dichten Wimpern entzückt in die Runde. »Jetzt Sie, Oliver! Sie! Sie!«
Unter den Augen eines applaudierenden Publikums gibt der rechtmäßige Erbe des Hauses Single & Single Schalwa sein maßgeschneidertes Jackett und die Seidenkrawatte und schwingt sich an Jewgenijs Stelle in den Sattel; und zum Beweis, was für ein famoser Kerl er ist, läßt er das ganze Haus bis in seine Grundfesten erbeben. Nur Zoya findet an seiner Vorführung keinen Gefallen. Empört über dieses ökologisch verheerende Spektakel, drückt sie Paul an ihre Brust und hält ihm schützend eine Hand übers Ohr. Ihre Haare sind zottig, ihre Kleidung nachlässig, und sie hat die hängenden Schultern einer Mutter und Kurtisane. Sie ist einsam und verloren in der großen Stadt des Lebens, und Oliver hat sich bereits zu ihrem Polizisten, Beschützer und Seelengefährten ernannt. »Wir in Rußland müssen schnell fahren, um stillzustehen«, sagt sie, als er sich die Krawatte wieder umbindet. »Das ist normal.« »Und in England?« fragt er lachend.
»Sie sind kein Engländer. Sie sind in Sibirien geboren. Sie dürfen Ihr Blut nicht verkaufen.«
Jewgenijs Büro ist eine Kapelle der Ruhe. Ein prächtig getäfeltes Nebengebäude, ein einziger Raum vom Boden bis zum Dach, früher vielleicht ein Stall. Kein Laut aus der Villa dringt hier herein. Goldbraun glänzen kostbare alte Birkenmöbel. »Aus dem Museum in St. Petersburg«, erklärt Jewgenij und streicht zärtlich mit der Handfläche über einen riesigen Schreibtisch. Als die Revolution ausbrach, wurde das Museum geplündert und die Sammlung über die ganze Sowjetunion verstreut. Er habe Jahre gebraucht, um die Möbel ausfindig zu machen, erzählt Jewgenij. Dann habe er einen achtzig Jahre alten ehemaligen Sträfling aus Sibirien gefunden, der sie restauriert habe. »Wir nennen diese Möbel Karelka«, sagt er stolz. »Die Lieblingsmöbel von Katharina der Großen.« An den Wänden hangen Fotos von Männern, von denen Oliver irgendwie weiß, daß sie tot sind, und gerahmte Diplome mit Abbildungen von Schiffen auf See. Oliver und Jewgenij lassen sich auf Sesseln Katharinas der Großen unter einem mittelalterlichen Eisenkronleuchter nieder. Das kantige alte Gesicht, die Goldbrille und die kubanische Zigarre machen Jewgenij zu jedermanns gutem Ratgeber und mächtigen Freund. Schalwa, der priesterhafte Anwalt, pafft lächelnd seine Zigaretten. Oliver hat Vertragsentwürfe mitgebracht, die von Winser aufgesetzt und von ihm selbst in schlichtes Englisch umformuliert worden sind. Massingham hat sie ins Russische übersetzt. Michail sitzt am Kopfende des Tischs und verfolgt das Gespräch mit der Aufmerksamkeit eines Tauben, seine abgrundtiefen Augen verschlingen Worte, die er nicht hören kann. Schalwa redet mit Jewgenij auf Georgisch. Während er spricht, schließt sich zu Olivers Überraschung die Tür, die gar nicht auf gewesen war. Als Oliver sich umdreht, sieht er Alix Hoban im Raum; er wirkt wie ein herbeigerufener Handlanger, der erst vortreten darf, wenn er dazu aufgefordert wird. Jewgenij bittet Schalwa, still zu sein, nimmt die Brille ab und wendet sich an Oliver. »Vertrauen Sie mir?« fragt er. »Ja.«
»Und Ihr Vater? Vertraut er mir?« »Selbstverständlich.«
»Dann haben auch wir Vertrauen«, erklärt Jewgenij und Schalwas Einwände abweisend, unterschreibt er die Dokumente und schiebt sie über den Tisch zu Michail hin, der sie ebenfalls unterschreiben soll. Schalwa steht auf, stellt sich neben Michail und zeigt ihm wo. Langsam, jeder Buchstabe ein Meisterwerk, malt Michail mühselig seinen Namen. Schalwa rückt vor, bietet sich als Zeuge an. Sie unterschreiben mit Tinte, aber Oliver denkt dabei an Blut. Sie sind in einem gefliesten Keller; über dem Holzfeuer im offenen Kamin braten Spieße mit Lanzen- und Schweinefleisch. Auf hohlen Ziegelsteinen brutzeln Knoblauchpilze. Ganze Laiber georgischen Käsebrots stapeln sich auf Holztellern. Oliver soll Chatschapuri dazu sagen, meint Tinatin, Jewgenijs Frau. Zum Trinken gibt es süßen Rotwein, von dem Jewgenij geheimnisvollerweise behauptet, er
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