Untot in Dallas
in Schwierigkeiten bringen könnte - und in was für welche -, das hatte sie bisher nicht geahnt. Die prägnanteste rebellische Geste ihres Lebens war gewesen, Arbeit im Bat's Wing zu finden. Nun stellte sich heraus, daß eben diese eine Rebellion sich unter Umständen als fatal erweisen könnte.
Ich öffnete die Augen und richtete meinen Blick noch einmal auf Stan. „Sie denken daran“, erinnerte ich ihn, wobei ich ein ziemliches Risiko einging, „daß die Frau sofort freikommt und ihr nichts geschieht, sobald sie die Informationen preisgegeben hat, um die es Ihnen geht.“ Zwar hatte Stan gesagt, er habe die Bedingungen verstanden, unter denen ich zu arbeiten bereit war, aber ich wollte noch einmal sicher gehen.
Hinter mir stieß Bill, offenbar unzufrieden mit meinem Verhalten, einen tiefen Seufzer aus. Stans Augen schienen einen Moment lang Funken zu sprühen, so wütend war der Vampir. „Ja!“ Seine Fangzähne waren vollständig ausgefahren, und er spie jedes Wort einzeln aus. „Ich habe mich mit den Bedingungen einverstanden erklärt.“ Einen Moment lang kreuzten sich unsere Blicke. Noch vor zwei Jahren, das wußten Stan und ich beide ganz genau, hätten die Vampire von Dallas Bethany einfach entführt und so lange gefoltert, bis sie jeden einzelnen Brocken Information ihr eigen nennen konnten, den die Frau in ihrem Hirn aufbewahrte. Dazu noch ein paar, die sie dazuerfunden hätte.
Das bürgerliche Leben, die Tatsache, daß sie nun öffentlich zu ihrer Existenz stehen konnten, brachte durchaus Vorteile für die Vampire - aber es hatte auch seinen Preis. In diesem Fall war der Preis, daß sie gezwungen waren, meine Dienste in Anspruch zu nehmen.
„Wie sieht Farrell aus?“
„Wie ein Cowboy“, sagte Stan, und das war seiner Stimme nach zu urteilen in keiner Weise humoristisch gemeint. „Er trägt einen dünnen Lederschlips, Jeans und ein Hemd mit Druckknöpfen aus unechten Perlen.“
Haute Couture schien die Vampire von Dallas nicht zu interessieren. Vielleicht hätte ich doch meine Kellnerinnentracht tragen können. „Haarfarbe? Augenfarbe?“
„Braunes Haar, schon ziemlich grau. Braune Augen, markantes Kinn. Ungefähr ... einen Meter achtzig.“ Das hatte Stan anscheinend erst ausrechnen müssen; er war wohl mit anderen Maßeinheiten aufgewachsen. „Man würde ihn für etwa achtunddreißig halten“, fuhr er fort. „Er ist glatt rasiert und dünn.“
„Wäre es Ihnen lieber, ich ginge mit Bethany in ein anderes Zimmer? Hätten Sie eines, das nicht so voll ist?“ Ich versuchte, ein freundliches Gesicht zu machen, denn das schien mir das beste zu sein.
Stan machte eine rasche Geste, die so schnell war, daß ich sie fast nicht mitbekam. Eine Sekunde später - und zwar ganz wortwörtlich eine Sekunde - hatten alle Vampire bis auf Bill und Stan selbst Eßzimmer und Küche geräumt. Ohne genau hinzusehen wußte ich, daß Bill gegen die Wand gelehnt stand, auf alle Eventualitäten eingerichtet. Ich holte tief Luft. Es war Zeit, die Sache anzugehen.
„Wie geht es dir, Bethany?“ fragte ich mit samtweicher Stimme.
„Woher kennst du meinen Namen?“ fragte die junge Frau und sackte in ihrem Stuhl zusammen. Es handelte sich um einen Drehstuhl auf Rädern, der in die Frühstücksecke der Küche gehörte. Ich zog ihn dichter zu mir heran und drehte ihn so, daß er direkt vor einem weiteren Stuhl zu stehen kam, auf dem ich mich dann niederließ. Stan saß immer noch am Kopfende des Eßtisches, was bedeutete, daß er nun ein wenig schräg links hinter mir saß.
„Ich weiß einiges über dich“, erwiderte ich, wobei ich versuchte, mitfühlend und allwissend dreinzuschauen. Dann pflückte ich ein paar von Bethanys Gedanken aus der Luft, wie Äpfel von einem üppig tragenden Baum. „Du hattest als Kind einen Hund. Er hieß Wuff. Deine Mutter backt den besten Kokosnußkuchen der Welt. Einmal hat dein Vater beim Kartenspiel so viel Geld verloren, daß du dein Videogerät versetzen mußtest, damit er seine Spielschulden bezahlen konnte, ohne daß deine Mutter etwas davon mitbekam.“
Ihr Mund stand offen. Soweit das unter diesen Umständen möglich war, hatte die junge Frau vergessen, daß sie sich in schrecklicher Gefahr befand. „Da ist ja irre! Du bist glatt so gut wie das Medium in der Werbung!“
„Nun, Bethany, ein Medium bin ich nicht“, stellte ich klar, vielleicht eine kleine Spur zu scharf. „Ich bin Telepathin. Ich kann deine Gedanken lesen, vielleicht sogar ein paar, von denen du
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