Untot in Dallas
nur für zwei Minuten. Dann hätte ich ihn nämlich fragen können, was zum Teufel hier gespielt wurde. Dieser große blonde Vampir war bestimmt nicht aus Kalifornien, und Leif hieß er auch nicht.
Vor uns stand Eric.
Nun tauchte Bills Hand in meinem Blickfeld auf und schloß sich um die meine. Sanft und vorsichtig drückte mein Liebster meine Finger, und ich erwiderte den Druck. Dann schlang er die Arme um mich, und ich ließ mich gegen ihn sinken. Wie gut es tat, sich etwas anzulehnen! Das hatte ich weiß Gott gebraucht.
„Wie kann ich behilflich sein?“ erkundigte sich Eric höflich - nein, Moment: nicht Eric, sondern Leif.
„Allem Anschein nach ist jemand in dieses Zimmer eingedrungen und hat sich als Spion betätigt.“
Welch eine nette, harmlose Art, um den heißen Brei herumzureden. Stan schien die Sache mit der Wanze im Moment nicht an die große Glocke hängen zu wollen. Angesichts der Tatsache, daß sich mit Sicherheit ein Verräter im Haus befand, war das keine so schlechte Idee.
„Ich bin Gast in deinem Nest und habe weder mit dir noch mit einem der Deinen irgendwelche Probleme.“ Leif klang völlig ruhig und überzeugend. Das fand ich eine beeindruckende Leistung, denn allein die Tatsache, daß er sich hier unter falschem Namen eingeschlichen hatte, war ja schon der reinste Schwindel und ein Affront und diente höchstwahrscheinlich der Wahrung irgendwelcher höchst geheimer vampirischer Eigeninteressen.
„Verzeihen Sie bitte!“ warf ich rasch ein, wobei ich versuchte, so zerbrechlich und menschlich wie irgend möglich zu klingen.
Stan schien nicht erfreut über die Unterbrechung, im Gegenteil: Er wirkte reichlich verärgert. Zum Teufel mit ihm!
„Das - das Ding, das betreffende - ist doch bestimmt nicht erst heute hier angebracht worden“, sagte ich, wobei ich versuchte, das so klingen zu lassen, als sei ich sicher, daß auch Stan sich bereits über diese Tatsache klar geworden war. „Sonst hätte man keine Einzelheiten über unsere Ankunft in Dallas erfahren können.“
Stan fixierte mich mit ausdrucksloser Miene.
Nun steckte ich so weit in der Tinte, da konnte mir eh schon alles egal sein! „Sie müssen mich jetzt entschuldigen, ich bin völlig erschöpft. Könnte mich Bill bitte ins Hotel bringen?“
„Isabel wird dich zurückbringen“, sagte Stan. „Allein.“
„Nein, Sir.“
Hinter den Brillengläsern aus Fensterglas schossen Stans Augenbrauen steil empor. „Nein?“ Das hörte sich an, als sei dieses Wort für ihn etwas völlig Neues.
„In meinem Vertrag ist festgeschrieben, daß ich keinen einzigen Schritt tue, es sei denn in Begleitung eines Vampirs aus meiner Region. Dieser Vampir ist Bill. Nachts gehe ich ohne ihn nirgendwo hin.“
Wieder fixierte mich Stan ausführlich und mit unnachgiebiger Miene. Ich war froh, daß ich diejenige gewesen war, die die Wanze entdeckt hatte. Ich war froh, daß ich mich auch anderweitig als nützlich erwiesen hatte, denn sonst hätte ich in Stans Wigwam wohl nicht lange überlebt. „Geht“, sagte der Obervampir von Dallas schließlich, woraufhin Bill und ich keine Zeit verschwendeten. Wir würden Eric ohnehin nicht helfen können, sollte Stan auf die Idee kommen, ihn zu verdächtigen. Im Gegenteil, es war durchaus möglich, daß wir ihn verrieten, ohne es zu wollen. Das galt besonders für mich: ein Wort, eine falsche Geste, die Stan sah, und schon wäre es geschehen. Immerhin beobachten und studieren die Vampire uns Menschen schon seit Jahrhunderten, und zwar wie Raubtiere, die versuchen, möglichst viel über das Wild herauszufinden, das ihnen als Beute dient.
Isabel ging mit uns aus dem Haus. Wir kletterten wieder in ihren Lexus, um uns zurück ins Silent Shore fahren zu lassen. Man konnte die Straßen von Dallas zwar auch um diese Uhrzeit nicht als leer bezeichnen, aber es ging wesentlich ruhiger zu als noch vor ein paar Stunden bei unserer Ankunft im Nest. Ich schätzte, bis zum Sonnenaufgang würden uns höchstens noch zwei Stunden bleiben.
„Danke“, sagte ich höflich, als wir unter dem Baldachin des Hotels hielten.
„Mein Mensch wird dich morgen um fünfzehn Uhr abholen kommen“, entgegnete Isabel.
Ich mußte mich zusammenreißen, um nicht die Hacken zusammenzuschlagen und der Vampirin ein forsches 'Jawoll, die Dame!' zuzurufen. Statt dessen teilte ich ihr zivilisiert mit, fünfzehn Uhr sei mir recht. „Wie heißt der Mann eigentlich?“ wollte ich dann noch wissen.
„Sein Name ist Hugo Ayres“, antwortete
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