Untot in Dallas
sowie Anregungen holen können. Aber hier hockte ich nun im fensterlosen, teuren Silent Shore ... Bill hatte allerdings gesagt, ich könne jederzeit unten beim Empfang anrufen, wenn ich etwas brauchte! Das tat ich dann auch.
„Rezeption!“ meldete sich eine menschliche Stimme, deutlich bemüht, den weichen Tonfall eines Vampirs nachzuahmen, der schon seit geraumer Zeit tot ist. „Womit kann ich dienen?“ Am liebsten hätte ich dem Mann gesagt, es sei sinnlos, er solle es lieber lassen. Wer würde sich denn in einem Haus, in dem das Original so vielfach vertreten war, mit einer Kopie zufriedengeben?
„Sookie Stackhouse, Suite dreihundertvierzehn. Ich brauche einen langen Jeansrock, Größe achtunddreißig, und eine pastellfarbene Bluse mit Blümchenmuster oder einen pastellfarbenen Pulli, dieselbe Größe.“
„Gern, die Dame“, sagte der Mann nach einer längeren Pause. „Wann soll ich Ihnen die Sachen bringen lassen?“
„Bald.“ Mann, das machte Laune. „Je eher, desto besser.“ Ich gewöhnte mich rasch an das gute Leben! Es gefiel mir, mich eines Spesenkontos zu bedienen, das jemand anders auffüllte.
Während ich auf die Kleidung wartete, sah ich mir im Fernsehen die Nachrichten an. Es handelte sich um die typischen Nachrichten, wie man sie in jeder amerikanischen Stadt zu sehen bekommt: Verkehrsprobleme, Bebauungsprobleme, Morde.
„Der Polizei ist es gelungen, die Identität einer Frau festzustellen, die gestern nacht im Müllcontainer eines Hotels gefunden wurde“, verkündete der Nachrichtensprecher gerade in angemessen ernsthaftem Tonfall. Er zog sogar die Mundwinkel nach unten, um zu zeigen, wie sehr ihn die Geschichte, die er da erzählen mußte, bewegte und bekümmerte. „Man fand die Leiche der einundzwanzigjährigen Bethany Rogers hinter dem Silent Shore. Das Silent Shore ist vielen in unserer Stadt wohlbekannt, da es als erstes und bislang einziges Hotel in Dallas auch untoten Gästen zur Verfügung steht. Rogers kam durch einen einzelnen, gezielten Kopfschuß ums Leben. Die Polizei spricht von Mord im Stil einer Exekution. Wie Detective Tawny Kelner unserem Reporter vor Ort mitteilte, gehen die Ermittlungen zur Zeit in verschiedene Richtungen.“ Nun wurde der so bemüht ernst und besorgt dreinblickende Sprecher ausgeblendet, und die Kamera richtete sich auf ein Gesicht, das echte Besorgnis ausdrückte. Ich schätzte die Beamtin auf um die vierzig, eine sehr kleine Frau, der ein langer Zopf auf den Rücken hing. Dann schwenkte die Kamera kurz zur Seite, um auch den Reporter ins Bild zu bringen, der Detective Kelner interviewte, einen kleinen, dunkelhäutigen Mann in einem fabelhaft geschnittenen Anzug. „Detective Kelner“, fragte der Reporter, „stimmt es, daß Bethany Rogers in einer Vampir-Bar gearbeitet hat?“
Die Sorgenfalten auf der Stirn der Polizistin gruben sich womöglich noch tiefer ein. „Ja“, antwortete sie. „Sie arbeitete dort als Kellnerin, nicht als Entertainerin.“ Entertainerin? Was machten denn Entertainer im Bat's Wing? „Sie arbeitete dort erst seit ein paar Monaten“, fuhr die Polizeibeamtin fort.
„Können wir aus der Tatsache, daß die Leiche ausgerechnet dort deponiert worden ist, wo man sie jetzt gefunden hat, schließen, daß Vampire an diesem Verbrechen beteiligt waren?“ Der Reporter fragte hartnäckiger, als ich zu fragen gewagt hätte.
„Im Gegenteil. Ich glaube, die Stelle wurde bewußt gewählt, um den Vampiren eine Nachricht zukommen zu lassen“, gab Kelner kurz und ein wenig ungehalten zurück, wobei es aber gleich darauf den Anschein hatte, als bereue sie bereits, das gesagt zu haben. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden?“
„Aber sicher“, erwiderte der Reporter ein wenig verdattert. Dann wandte er sich wieder direkt an die Kamera, als könne er durch sie hindurch den Nachrichtensprecher im Studio sehen. „Nun, Tom“, kommentierte er, „man kann wohl sagen, daß dies ein ziemlich brisantes Thema ist.“
Wieso das?
Auch der Nachrichtensprecher schien mitbekommen zu haben, daß die Worte seines Reporters wenig Sinn ergaben, denn er wandte sich rasch dem nächsten Thema zu.
Die arme Bethany war also tot, und es gab niemanden, mit dem ich darüber hätte reden können. Hastig wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht, die mir spontan in die Augen geschossen waren. Ich, ganz besonders ich, hatte ja wohl kaum das Recht, um dieses Mädchen zu trauern! Aber ich konnte nicht verhindern, daß ich darüber nachdachte,
Weitere Kostenlose Bücher