Untot - Lauf, solange du noch kannst (German Edition)
gerade wieder rufen, da hält mich irgendwas davon ab. Die Halle ist kalt und schattig, wie eine Kathedrale. Es kommt mir fast falsch vor, an so einem Ort herumzuschreien. Es ist mir gestern Abend nicht aufgefallen – wahrscheinlich wegen der Dunkelheit und der Erschöpfung und dem posttraumatischen Stresssyndrom – aber oben über der Treppe ist ein riesiges Buntglasfenster. Die schwache Sonne schafft es, das Fenster zum Leuchten zu bringen, und wirft rote, blaue und grüne Lichtstrahlen in den Raum. Es sieht wirklich total schön aus. An einem richtigen Sommertag muss es ganz toll sein. Also vorausgesetzt, in Schottland ist je Sommer.
»Kackern«, sagt Cam leise in meinen Armen. Für den Fall, dass ich an seinen Absichten je gezweifelt habe, unterstreicht er das mit einem kurzen, scharfen Furz. Ich unterdrücke ein Kichern und gehe weiter, bevor der Geruch uns einholen kann.
Ich weiß noch, wo das untere Badezimmer ist, und wir machen beide, was wir eben machen müssen. Cam lässt mich ein bisschen im Unklaren darüber, was erforderlich ist, wenn er fertig ist, bis ich mit Schrecken begreife, dass er Hilfe von mir erwartet. Ich wickele mir eine ganze Ladung Klopapier um die Hand und versuche nicht das Gesicht zu verziehen, während ich draufloswische. Ich kann mir nicht helfen, aber von all den Sachen, die ich in den letzten paar Tagen erlebt habe, ist das hier mit Abstand das Ekligste. Dann komme ich mir richtig mies vor, weil ich so etwas denke. Aber das ändert trotzdem nichts am Ekelfaktor. Wir waschen uns beide die Hände, in Litern von eiskaltem Wasser und ganzen Bergen von Flüssigseifenschaum, und erst dann hören der Ekel und die Schuldgefühle auf.
Als Ergebnis seines Mega-Kackerns vollführt Cam einen spontanen Persönlichkeitswechsel. Jetzt sprudelt er geradezu über von guter Laune und Energie. Er flitzt auf dem Weg zur Küche durch jedes Zimmer; ich kann kaum mithalten. Wir kommen bei der Küchentür an und ihn hält nur die unhandliche Klinke zurück. Ich greife ihn mir mit der einen Hand und die Klinke mit der anderen und öffne langsam und vorsichtig die Tür.
Als Erstes schlägt mir dieser Geruch entgegen. Dann springt mich dieses Bild des Grauens an.
Gebratene Eier mit Schinken. Smitty in einer Schürze.
»Mensch, Bobby. Ich hab gedacht, du schläfst für England.« Er bedenkt mich mit einem Augenaufschlag. »Oder für Schottland.« Er zuckt mit den Schultern. »Oder die guten alten Staaten, wo du auch herkommst.«
Pete und Alice sitzen an dem großen Küchentisch und essen. Lily steht hinter Smitty und macht Toast. Cam sieht sie und will hinrennen. Prompt höre ich ein Knurren und greife instinktiv nach Cam, reiße ihn hoch und weiche von der Türöffnung zurück. Die Tür wird uns vor der Nase zugeknallt und Cam fängt an zu weinen. Hinter der Tür gibt es Gepolter und ich kann Smitty hören, wie er Locklaute von sich gibt, und nach einer Minute oder so macht Lily die Tür wieder auf.
»Cammy!«, gurrt sie und nimmt ihn mir aus den Armen. »Der olle verrückte Hund ist jetzt weg.« Sie zwinkert mir zu. »Möchtest du Rührei?«
Cam nickt und sie geht mit uns zurück in die Küche. Pete und Alice sind immer noch am Mampfen. Smitty wendet Schinkenstreifen, als ob gar nichts Schlimmes passiert ist. Ich stelle mich unauffällig zu ihm.
»Wo ist der Hund?«, flüstere ich.
»In der Bücherei, mit einem Teller voll Schinken. Er war total lieb, bis Cam aufgetaucht ist.« Über den Schinken gebeugt fügt er leise hinzu: »Er kann den kleinen Kerl echt nicht leiden.«
»Und warum habt ihr mich nicht geweckt?« Ich versuche cool zu bleiben, aber mir zittert die Stimme. »Und habt mich stattdessen im Wohnzimmer eingesperrt?«
»Lily wollte nicht, dass Cam irgendwohin verschwindet.« Er schlägt ein Ei auf. »Und du hast überhaupt nichts mitgekriegt.« Seine Lippen kräuseln sich zu einem Lächeln. »Außerdem hab ich gedacht, du möchtest gern im Bett frühstücken.«
Ich werde so rot wie der Schinken in der Pfanne.
»Nur auf einer Seite gebraten?« Er sieht mich konzentriert an. Als ich nicht antworte, lässt er Spiegelei und Schinken auf einen sauberen, weißen Teller gleiten und hält ihn mir hin. Hm, wie das duftet! Mein Hunger ist größer als meine Verlegenheit und mein Ärger und ich ertappe mich dabei, wie ich mich wortlos umdrehe und neben Pete an den Tisch setze. Es schmeckt total gut. Dabei esse ich nicht einmal gerne Schwein, weil das kluge und süße Tiere sind und ich
Weitere Kostenlose Bücher