Untot mit Biss
hinwegzutäuschen. Er war viel zu unvorbereitet, um mit einem Senator fertig zu werden. »Ich weiß es nicht. Tage vielleicht.«
Wieder zeigte sich der silberne Glanz in Louis-Césars Augen, und seine Pupillen verschwanden fast ganz. Ich hielt den Atem an, und damit war ich nicht allein. Es wurde still im Zimmer, bis auf das schwere Atmen des Magiers, und es schien immer lauter zu werden, als hätte ihm jemand ein Mikrofon gegeben. Mircea ließ ihn plötzlich los, und er wäre zu Boden gesunken, wenn Louis-César ihn nicht am Hemd gepackt und wieder an die Wand gedrückt hätte.
Ich hatte Louis-Cesar im Kasino in Aktion gesehen, war aber nicht davon überzeugt gewesen, dass es sich bei ihm um einen wirklich erstklassigen Kämpfer handelte. Er war gut, zweifellos, aber im Lauf der Jahre hatte ich viele gute Kämpfer gesehen, und außerdem glaubte ich noch immer, dass sich mit einer Feuerwaffe mehr ausrichten ließ als mit einem Rapier. Ich hatte zu viel Zeit bei Tony verbracht, wo es nicht an Ballermännern mangelte. Ich verstand, weil Louis-Cesar mich so sehr entsetzte – er war meine Tür zum Land verrückter Geister und finsterer Verliese –, aber andere Menschen hatten dieses Problem nicht, und es war mir ein Rätsel gewesen, wieso sie ihn fürchteten. Die meiste Zeit über sah er fast süß aus mit seinen großen blauen Augen und den Grübchen. Aber schließlich fiel bei mir der Groschen. Ich fand ihn noch immer attraktiv, aber es war die besondere Schönheit eines Tornados, bevor er eine Stadt verwüstete. In jener Sekunde glaubte ich, dass er imstande gewesen wäre, den verrückten Plan im Dantes wirklich in die Tat umzusetzen, dass er es tatsächlich geschafft hätte, zwanzig Vampire zurückzuhalten, während mich Tomas in Sicherheit brachte.
»So viel Zeit haben wir nicht«, zischte Louis-Cesar, und Pritkin erbleichte.
Mircea sprach, und seine Stimme war wie ein Bach, dessen Wasser ruhig durch den Raum floss, die Gemüter beruhigte und Wangen kühlte. »Vielleicht möchte der Magier Pritkin seinen Kreis woanders kontaktieren? Ich glaube, er hat uns alles gesagt, was wir wissen müssen, wenn auch indirekt.« Er sah Pritkin an und lächelte. »Vielleicht sollten Sie den Kreis fragen, warum er Sie, den bekanntesten Dämonenjäger, damit beauftragte, Cassie zu finden. Sie stehen in dem Ruf, recht – wie soll ich mich ausdrücken? – unbeirrbar zu sein. Wer zu Argwohn neigt, könnte fast glauben, dass der Kreis wollte, dass Sie einen falschen Eindruck von ihr gewinnen – um auf diese Weise eine mögliche Rivalin auszuschalten.«
Pritkin starrte ihn groß an, und allmählich gewann sein Gesicht ein zorniges Rot. Ich hoffte, dass sein Herz nicht ebenso viel Arbeit bekam wie das Gesicht.
Wenn er keinem Herzanfall zum Opfer fiel, würde ihm der Kreis vermutlich einiges erklären müssen.
»Er bleibt hier!«, sagten Louis-Cesar und ich gleichzeitig. Er deutete mir gegenüber eine Verbeugung an, und ich beobachtete ihn nervös, als ich aufstand und mich Pritkin näherte. Die Augen des Franzosen glänzten noch immer silbrig, und ich wollte nicht herausfinden, was geschah, wenn er wirklich die Beherrschung verlor.
»Sie verlassen diesen Ort erst, wenn ich Antworten bekommen habe. Wer ist die Pythia? Warum nennen Sie mich immer wieder Sibylle, und von welchen Mächten reden Sie?«
Pritkin erhob keine Einwände – der Kampf schien ihm den Widerstandswillen genommen zu haben. Seine Stimme war ein wenig heiser, als er sagte: »Die Seherin von Delphi, Apolls größtem Tempel, hieß Pythia. Zweitausend Jahre lang galten die dafür ausgewählten Frauen als Orakel der Welt; Könige und Herrscher trafen politische Entscheidungen auf der Grundlage ihres Rats. Mit dem Niedergang der Griechen verlor das damalige Orakel an Bedeutung, aber der Name wird heute noch immer benutzt, aus Respekt. Die Pythia ist die oberste Seherin der Welt, eine starke Verbündete des Kreises. Sie hat deshalb so große Bedeutung für uns, weil Nichtmenschen ihre Fähigkeiten nicht haben.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Bei jeder Auswahl einer neuen Pythia wird eine Sibylle – unser Name für eine wahre Seherin – zu ihrer Nachfolgerin bestimmt. Von Kindesbeinen an bringt man ihr bei, die Bürde zu verstehen und zu tragen. Die gegenwärtige Pythia ist alt, und ihre Macht schwindet. Sie sollte auf ihre Nachfolgerin übergehen, doch die wurde vor mehr als sechs Monaten von Rasputin und dem Dunklen Kreis entführt.« Pritkins Augen
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