Untot mit Biss
sie aus der Fabrik kamen: dick, mit rasiermesserscharfen Kanten. Mike hatte bei ihrer Verwendung sehr vorsichtig sein müssen. Als das Regal von der Wand gerissen worden war, hatten sie offenbar ein eigenes Bewegungsmoment gewonnen, sich in tödliche Geschosse verwandelt und den Vampir wie einen Laib Brot zerschnitten. Der Bursche schien vor kurzer Zeit Nahrung aufgenommen zu haben, denn aus den zahlreichen Wunden war genug Blut geströmt, um den ganzen Boden zu bedecken.
Doch keins der Bleche hatte den Kopf abgetrennt oder das Herz durchbohrt, und deshalb »lebte« der Mistkerl noch immer, trotz seiner grässlichen Verletzungen. Er sah in meine Richtung und versuchte, die Waffe zu heben, die er in einer Hand hielt. Tomas bemerkte es ebenfalls, ging sofort zu ihm und griff nach dem Blech, das im Bauch des Vampirs steckte. Er zog es heraus, hob es und stieß mehrmals damit zu, während ich ihn verblüfft anstarrte. Innerhalb weniger Sekunden sah das Ding auf dem Boden nicht mehr wie eine Person aus, sondern eher wie ein roher Hamburger.
Der Blick des Vampirs blieb hasserfüllt auf mich gerichtet, während Tomas ihn zerstückelte – er wusste genau, was mit ihm geschah. Ich konnte weder schreien noch irgendetwas tun. Ich hatte schon öfter in der Klemme gesessen, aber wenn man nicht mehr so leben musste, vergaßen die Nerven, wie es war, ständig angespannt zu sein. Ich beobachtete, wie Tomas noch einmal mit dem Blech zustieß und den Kopf abtrennte, und daraufhin ließ ich den Atem entweichen, von dem mir gar nicht klar gewesen war, dass ich ihn angehalten hatte. Wir lebten noch. Ich konnte es kaum glauben und noch weniger verstehen.
Ich war bei Tony aufgewachsen und hatte dabei Gelegenheit gefunden, mich an Gewalt zu gewöhnen. Deshalb blieb ich einigermaßen gefasst, bis ich die Körper des vierten und fünften Vampirs sah: Sie wiesen dort große Löcher auf, wo sich das Herz befinden sollte. Der Pflock ins Herz war die traditionelle und noch immer beliebteste Methode, einen Vampir zu erledigen, aber ich schätzte, wenn man ihm das Herz aus der Brust riss, erzielte man das gleiche Ergebnis, obwohl ich so etwas nie zuvor gesehen hatte. Ich dachte daran, dass ich auf einen solchen Anblick gern verzichten konnte, als ich zu Tomas sah … und der Raum plötzlich vor mir zurückwich.
Normalerweise kündigte sich eine Vision an. Ich konnte sie nicht etwa aufhalten, aber ihr gingen etwa dreißig Sekunden Desorientierung voraus, was mir Zeit gab, mich irgendwohin zurückzuziehen und geistig vorzubereiten. Diesmal bekam ich keine Vorwarnung. Der Boden schien sich unter mir aufzulösen, und ich fiel durch einen langen, dunklen Tunnel. Als ich landete, stand Tomas etwa zwei Meter von mir entfernt auf einer grasigen Ebene, die sich endlos weit unter einem hellblauen Himmel erstreckte. Seine Haut war nicht mehr wie Gold, sondern glänzte wie polierte Bronze, und er trug ein ärmelloses Wollgewand anstatt Grufti-Klamotten, aber er war es eindeutig. In seinen dunklen Augen flackerte ein wildes Feuer, und sein Gesicht brachte Triumph zum Ausdruck. Eine Gruppe ähnlich gekleideter Männer umgab ihn, und alle sahen aus, als hätte ihre Lieblingsmannschaft gerade den Super Bowl gewonnen.
Nicht weit entfernt donnerten Wellen an ein felsiges Ufer.
Sie waren so grün, dass sie fast schwarz wirkten, und schickten einen kalten, böigen Wind über die Ebene. Die Landschaft war öde, hätte aber doch reizvoll gewirkt, wenn nicht die gut zwanzig herumliegenden Leichen gewesen wären. Die meisten von ihnen schienen Europäer zu sein, und ihre Kleidung erweckte den Eindruck, aus einem zu knapp finanzierten Piratenfilm zu stammen: weiße Hemden mit langen, bauschigen Ärmeln, braune Kniehosen und schmutzige weiße Strümpfe. Ich bemerkte einen Mann, der noch lebte: Er hatte seine Schuhe verloren und lag mit struppigem Haar da, das Gesicht eine Grimasse. Mit fasziniertem Entsetzen beobachtete ich, wie Tomas ein bronzenes Messer in die Brust des Mannes stieß und sie vom Hals bis zum Bauch aufschnitt. Aus der klaffenden Wunde stieg die Körperwärme in die kalte Luft auf, und eine Dunstwolke bildete sich. Aber sie war nicht dicht genug, um mich daran zu hindern, zu sehen, wie Tomas die Rippen so brach, als wären sie nichts weiter als dünne Zweige. Blut färbte seine Hände rot, als er das zitternde Herz aus der Brust nahm und es hochhielt. Dann ließ er es ganz langsam sinken, als wollte er jeden Moment genießen, und führte es zum Mund.
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