Untot mit Biss
die Konsulin.
Ich blinzelte überrascht. Ich hatte vermutet, dass es ein Problem gab, aber nicht so eins – vier alte Vampire waren nicht unbedingt leicht zu töten. Doch die Konsulin bestätigte es. »Wir sind sehr geschwächt. Der Verlust einiger der größten von uns lastet schwer auf allen Anwesenden in diesem Raum, doch wenn es so weitergeht, wird die ganze Welt betroffen sein.« Sie unterbrach sich, und zuerst dachte ich, dass sie auf diese Weise ihren Worten Nachdruck verleihen wollte. Aber dann merkte ich, dass sie weggetreten war. Bei einigen der ganz alten Vampire geschah das manchmal: Für eine Minute oder eine Stunde am Tag zogen sie sich in sich selbst zurück und vergaßen die Existenz aller anderen. Ich war von Tony an diese Pausen gewöhnt und blieb deshalb unbesorgt. Jemand, den ich nicht kannte, hatte sich dem neben der Tür stehenden Tomas hinzugesellt und wirkte wie eine lebensgroße Statue, aber eine recht primitive ohne Farbe auf ihrem tönernen Äußeren und schlecht definierten Gesichtszügen. Tomas und der Neuankömmling schienen sich über etwas zu streiten, doch ihre Stimmen waren so leise, dass ich nichts hörte. Ich verspürte einen kurzen Anflug von Sehnsucht nach Tonys Audienzsaal, in dem die meisten Anwesenden mörderische Drecksäcke waren, aber wenigstens kannte ich ihre Namen. Es machte mich bereits nervös genug, in blutbesudelter Kleidung vor einigen Vampiren zu stehen, die mächtig genug waren, mich mit kaum mehr als einem Gedanken zu töten, aber hinzu kam, dass ich auch noch im Dunkeln tappte. Rafe war eine tröstende Präsenz hinter mir, doch ich hätte jemanden vorgezogen, der mit Pistolen und Messern umgehen konnte. »Wir vermissen sechs unserer Mitglieder«, fuhr die Konsulin plötzlich fort. »Vier sind unwiederbringlich verloren, und die anderen beiden schweben am Rand des Abgrunds. Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, sie zu retten, werden wir sie nutzen. Doch vielleicht sind unsere Mühen vergeblich, denn unser Feind hat vor kurzer Zeit eine neue Waffe bekommen, die uns im Moment unserer Schöpfung Vernichtung bringen kann.«
Ich widerstand der Versuchung, den Kopf zu drehen und nach Rafe zu sehen, der hoffentlich mehr verstand als ich. Vielleicht konnte er mir später alles erklären, wenn die Worte der Konsulin auch weiterhin keinen Sinn für mich ergaben.
»Bitte komm zu uns, Tomas.« Sie hatte den Satz kaum beendet, als Tomas auch schon neben ihr stand. »Kann sie uns von Nutzen sein?«
Er achtete darauf, nicht in meine Richtung zu sehen. Ich hätte am liebsten geschrien, doch Rafes Hand schloss sich fast schmerzhaft fest um meinen Arm, und ich behielt mich unter Kontrolle.
»Ich denke schon. Manchmal spricht sie, wenn niemand da ist, und heute Abend … Ich kann nicht erklären, was mit einem der Killer geschehen ist. Es waren fünf. Ich habe drei getötet, und ihr Schutzzauber erledigte einen weiteren, aber was den fünften betrifft …«
»Tomas, nein.« Ich wollte nicht, dass er den Satz beendete. Es war bestimmt nicht gut, wenn mich der Senat für eine Gefahr hielt, und vielleicht schuf der Hinweis auf den explodierten Vampir ein wenig Unruhe. Wie sollte selbst ein alter Meister gegen etwas kämpfen, das er nicht sah und nicht fühlte? Portias Eingreifen war natürlich nur ein Glücksfall – ich war nicht mit einem Heer aus Geistern unterwegs und konnte jenen, denen ich begegnete, nicht befehlen, für mich zu kämpfen –, doch das wusste der Senat nicht. Ich bezweifelte, ob sich die Konsulin und die anderen mit meinem Wort begnügt hätten. Die meisten Geister waren zu schwach für das, was Portias Freunde getan hatten. Vermutlich hatte sie jeden aktiven Geist des Friedhofs gerufen, und selbst gemeinsam waren sie kaum stark genug gewesen. Ich konnte so etwas nicht noch einmal bewerkstelligen, aber wenn der Senat mir das nicht glaubte, drohte mir der Tod.
Tomas presste kurz die Lippen zusammen und mied noch immer meinen Blick. »Ich weiß nicht, wie der letzte Vampir starb. Cassandra muss ihn getötet haben, aber das Wie ist mir entgangen.« Das stimmte, aber er hatte zweifellos gefrorene Vampirteile überall im Gang gesehen, und es gab nicht viele Erklärungen dafür, wie sie dorthin gekommen waren. Es überraschte mich, dass er der Frage für mich auswich, aber es spielte keine Rolle. Ein Blick zur Konsulin genügte mir, um zu wissen, dass sie sich nichts vormachen ließ. Bevor sie Tomas darauf ansprechen konnte, lief der blonde Mann, der von der
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