Untot mit Biss
und mir vage wünschte, dass mir jemand den Rücken wusch.
Meine Gefühle hatten sich irgendwohin auf und davon gemacht und mich leer zurückgelassen. Ich war körperlich erschöpft gewesen, und jetzt kam geistige Müdigkeit hinzu.
Schließlich begann ich damit, mir das getrocknete Blut vom Körper und aus dem Haar zu waschen. Ich versuchte mir einzureden, dass meine Vision in keiner Verbindung zur realen Welt stand, dass die arme Frau Jahrhunderte vor meiner Geburt zu Tode gefoltert worden war. So schrecklich die Bilder auch gewesen sein mochten: Sie warnten nicht vor einer drohenden Katastrophe oder einer anderen Sache, gegen die ich etwas ausrichten konnte. Ich versuchte zu glauben, dass es sich nur um die intensivere Version eines psychischen Schluckaufs handelte, den ich manchmal bekam, wenn ich sehr alte Dinge berührte, die traumatischen Umständen ausgesetzt gewesen waren. Aber so hatte es sich nicht angefühlt.
Ich hatte früh gelernt, mich vor negativen psychischen Vibrationen in Acht zu nehmen. Alphonse sammelte alte Waffen aller Art, und als Kind hatte ich einmal unabsichtlich eine Maschinenpistole berührt, die erst seit kurzer Zeit zu seiner Sammlung gehörte – er war damals gerade dabei gewesen, sie zu reinigen. Sofort
sah
ich die Menschen, die damit erschossen worden waren, und die Bilder bescherten mir über Wochen hinweg schlimme Albträume. Für gewöhnlich wusste ich ohne einen vorherigen Kontakt, wann mir ein Gegenstand Probleme bereiten konnte – die betreffenden Objekte schienen mir eine Art Warnung zu senden, die ich empfing, wenn ich darauf achtete. Doch nur wenige Personen lösten eine solche Reaktion bei mir aus. Das galt selbst für jahrhundertealte Vampire wie Louis-Cesar, die sicher genug Tragödien erlebt hatten. Trotzdem vermied ich es, Fremden die Hand zu schütteln, um nicht durch Zufall zu erfahren, wer seine Frau betrog oder ein Verbrechen plante. Und nie,
nie
berührte ich Tony, nicht einmal im Vorbeigehen. Jetzt fügte ich meiner Um-jeden-Preis-zu-vermeiden-Liste einen weiteren Namen hinzu. Ich spülte mich ab, ließ das blutige Badewasser ablaufen und begann noch einmal von vorn. Ganz sauber wollte ich mich fühlen, und etwas sagte mir, dass es eine Weile dauern würde. Ich nahm so viel Schaumbad, dass der Schaum über die Seiten der Wanne quoll und auf den Boden fiel. Es war mir gleich. Ich dachte nur daran, ob ich bis zum Tagesanbruch in der Badewanne liegen bleiben sollte – dann musste ich mir nicht anhören, was der Senat für mich plante. Ich war dankbar dafür, dass er mich schützte, aber bestimmt gab es einen hohen Preis dafür. Nicht dass es eine Rolle spielte. Ich wusste nicht, wo ich mich befand, und selbst wenn ich entkommen wäre: Ich hätte es nur wieder mit Tony zu tun bekommen. Was auch immer der Senat von mir wollte, mir blieb wahrscheinlich nichts anderes übrig, als darauf einzugehen.
Das Problem war: Ich hatte mir selbst versprochen, meine besonderen Fähigkeiten – von Tony und seinen Halunken abgesehen – nie zu gebrauchen, um jemandem Schaden zuzufügen. Zum Glück wusste ich nicht, wie viele Menschen ich während der Arbeit für den verdammten Mistkerl indirekt verletzt oder getötet hatte, aber bestimmt waren es nicht wenige. Zu jener Zeit hatte ich keine Ahnung davon gehabt, dass meine Visionen einem Zweck dienten, doch dadurch fühlte ich mich nicht viel besser. Die Leute, die Atombomben bauten, bestimmten nicht die Politik, die über ihren Einsatz entschied, doch ob ihnen das half, nachts besser zu schlafen? Ich schlief schon seit langer Zeit nicht mehr gut. Wenn das, was der Senat von mir wollte, anderen Leuten schadete – und davon ging ich aus –, würde ich bald herausfinden, wie wichtig mir meine Prinzipien waren.
Fünf
Ich gelangte zu dem Schluss, dass mein linkes Handgelenk verstaucht war, nicht gebrochen, und dass die Schramme an der Wange schlimmer hätte sein können. Meinem Hintern war es schlechter ergangen. Der Sturz auf die Pistole im Lagerraum hatte einen Bluterguss so groß wie meine Hand hinterlassen, noch dazu in einem hässlichen Violett. Großartig. Die Farbe passte gut zu den Druckmalen an meinem Hals.
Ich beendete die Untersuchung gerade, als Billy Joe durchs Fenster schwebte. Ich sah zur Tür und hätte ihm am liebsten meine Meinung gesagt, aber dabei wollte ich keine Zuhörer haben. Billy war mein Ass im Ärmel, meine beste Chance, hier herauszukommen. Ich wollte nicht, dass jemand von ihm erfuhr. Er sah meinen
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