Untot mit Biss
Verzweiflung und absolut davon überzeugt waren, dass die Hilfe, um die sie riefen, nie kommen würde. Instinktiv versuchte ich, zurückzuweichen und ins Licht eines nahen Wandleuchters zu treten, doch eine grobe Hand stieß mich nach vorn. Ich stolperte, verlor das Gleichgewicht und stieß mit den Knien auf den harten, unebenen Boden. »Dort hinein.«
Ich kam der Aufforderung nur langsam nach und erhielt dafür einen Tritt in die Rippen, der mir die Luft nahm. Eine Hand zog mich auf die Beine. Ich blickte nach unten und sah einen kahl werdenden, übergewichtigen Mann, der eine blutbesudelte Schürze trug, mit einer schmutzigen Wollhose darunter. Mit meinen eins sechzig als Frau war ich nicht daran gewöhnt, auf viele Männer hinabzusehen, und ich blinzelte schmerzerfüllt und verwirrt. Fleischige Lippen formten ein Grinsen und zeigten einen Mund voller grauer Zähne. Ich wich unwillkürlich zurück. »Gut. Fürchte dich,
M’sieur le Tour.
Denke daran: Heute Nacht bist du kein Prinz.« Er musterte mich von Kopf bis Fuß. »Bald werden wir sehen, ob du deinem Namen gerecht wirst. In dieser Nacht gehörst du mir!« Er schob einen großen eisernen Schlüssel ins Schloss, und die Tür schwang auf. Man stieß mich in einen quadratischen Raum mit dicken Steinwänden und einer hohen Decke. Erneut fiel ich, diesmal in schmutziges Stroh, das nach Urin und Schlimmerem stank und den Aufprall kaum milderte. Ein Teil von mir reagierte mit Zorn auf die Art und Weise, wie mich dieser grausame Mann behandelte, doch einen Moment später verschwanden alle Gefühle bis auf Entsetzen. Ich sah eine ausgezehrte, nackte Frau, die auf einer Streckbank lag, und ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Blut war aus zahlreichen Wunden in ihrem Leib geströmt und auf der Haut getrocknet. Braune Flecken zeigten sich auf dem Boden unter ihr. So viel Blut … Ich konnte kaum glauben, dass es nur aus einem Körper geflossen war.
An die Wände gekettete Männer heulten und flehten mich an, sie zu retten, aber ich bemerkte sie kaum. Meine ganze Aufmerksamkeit galt der Frau, obwohl sie völlig still blieb. Der Fackelschein spiegelte sich in ihren offenen Augen wider, und ich wusste nicht, ob es an dem Licht lag oder tatsächlich noch etwas Leben darin brannte. Ich hoffte um ihretwillen, dass sie tot war. Der Mann bemerkte meinen Blick und ging zur Streckbank. »Ja, mit deiner Freundin lässt sich nicht mehr viel anfangen.« Er überprüfte einen der Stricke an den Händen der Frau, und ich sah, dass ihre Fingernägel fehlten. Die Fingerkuppen schienen zermalmt oder von einem Tier abgefressen zu sein, und die Knöchel waren so sehr angeschwollen, dass die Hände gar nicht mehr geschlossen werden konnten.
Im Lauf der Jahre hatte ich bei Tony viel gesehen, aber normalerweise war die Gewalt schnell und unerwartet gewesen, so wie das, was ich an diesem Abend erlebt hatte. Wenn man Gelegenheit bekam zu reagieren, war schon alles vorbei. Tony hatte manchmal auf das Mittel der Folter zurückgegriffen, aber ohne mein Beisein. In dieser Hinsicht hatte Eugenie einen sehr strikten Standpunkt vertreten, und den Grund dafür verstand ich jetzt. Das hier war schlimmer als die mir bekannte Grausamkeit: zu beiläufig, zu sachlich, zu organisiert und durchdacht. Es steckte kein Zorn dahinter, nichts Persönliches, das der Gewalt etwas Verständliches gab. Die Qual der Frau gehörte einfach nur zum Job.
»Sie dürfte als abschreckendes Beispiel genügen«, fuhr der Mann fort. Er winkte einem der beiden Männer an der Streckbank zu, und der Betreffende holte eine schmutzige Weinflasche hervor. »Das geschieht mit allen, die den König verärgern. Beobachte und merk es dir, du Mistkerl.«
Stumm und wie erstarrt stand ich da, als der Frau Wein auf Kopf, Gesicht und Hals geschüttet wurde. Das Haar saugte ihn auf, bis er schließlich auf den steinernen Boden tropfte und dort eine rote Pfütze bildete. Ich erwachte aus meiner Starre, als ich plötzlich begriff, was sich anbahnte.
Der Foltermeister streckte die Hand nach einem Kerzenstumpf aus, und ich trat vor. »Nein! Bitte,
M’sieur,
ich flehe Sie an …« Die Freude in seinem Gesicht wies mich darauf hin, dass ich genau die Reaktion zeigte, die er sich von mir erhofft hatte, und dass er nicht beabsichtigte, sich von mir aufhalten zu lassen. Mit Häme beobachtete er mein Gesicht, als er die Kerze an eine nahe Fackel hielt und sich eine kleine Flamme am Docht bildete. Ich vergeudete keine Zeit mehr mit Worten,
Weitere Kostenlose Bücher