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Untot mit Biss

Untot mit Biss

Titel: Untot mit Biss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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sondern sprang vor und griff nach der brennenden Kerze. Es gelang mir, sie dem Mann abzunehmen, aber die beiden anderen Folterer packten meine Arme und zogen mich zur Seite. Der Foltermeister sah mich mit Augen an, die nichts Menschliches mehr hatten. Er lächelte, bückte sich, streckte langsam die Hand nach der Kerze aus und zündete sie wieder an. Ich sah zur Frau, als er sich ihr näherte – ich konnte nicht anders. Tränen glänzten in ihren hellbraunen Augen, und sie blinzelte, wodurch sich Weintropfen von ihren Wimpern lösten. Dann geriet die Frau hinter dem Foltermeister außer Sicht.
    Ein Teil von mir sagte, dass er stehen bleiben würde, ohne ihr dies anzutun. Eine Stimme in meinem Kopf behauptete, dass er mich erschrecken wollte, dass er dies alles inszeniert hatte, damit ich später nachgiebiger war. Vielleicht stimmte das sogar, aber es rettete die Frau nicht.
    Das Bild vor meinen Augen zitterte, und fremde Gedanken zogen durch mein Bewusstsein. Ich sah andere Orte und andere Leute, wie in einem Film, der auf einen transparenten Schleier vor mir projiziert wurde. Hinter den Bildern blieben der Foltermeister und die Frau sichtbar, in einem Moment ohne Zeit erstarrt, bevor das Unmögliche geschah.
    Die Stimme in meinem Kopf wurde lauter und erzählte davon, in Gefangenschaft aufgewachsen zu sein, aber nie wahre Grausamkeit kennengelernt zu haben. Ich habe mich in gutes Leinen und handgemachte Spitze gekleidet, sagte sie. Ich hatte Bücher, eine Gitarre und Farben, mit denen ich mir die Zeit vertreiben konnte. Die Gefängniswärter verbeugten sich tief, wenn sie in mein Zimmer kamen, und sie nahmen in meiner Gesellschaft nur Platz, wenn ich es ihnen erlaubte. Königliches Blut floss in meinen Adern, und das vergaß nie jemand. Nie hatte ich eine solche Brutalität erlebt, nie eine derartige Furcht verspürt. Und dicht hinter der Angst folgte das rote Glühen heißen Zorns. Dies war keine Gerechtigkeit. Dies war nicht nötig, um Frieden zu wahren und die Stabilität des Landes zu schützen, oder welche hochklingenden Phrasen auch immer man verwendete. Es waren vielmehr die Taten eines sadistischen Feiglings, der seine Hände am Hof lilienweiß behielt, während so schreckliche Dinge hinter verschlossenen Türen stattfanden, in seinem Namen. Und sie nannten mich ein Greuel.
    Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die Stimme zum Schweigen zu bringen und die Bilder vor meinen Augen zu vertreiben. Nach ein oder zwei Sekunden gelang mir das, aber daraufhin kehrte ich in den Albtraum zurück, mit klarem Blick auf die Kerze, die sich ihrem Ziel näherte. Fassungslos beobachtete ich, wie der Foltermeister die kleine Flamme an eine Strähne des weinnassen Haars der Frau hielt. Mit einem hörbaren
Wusch
fing sie Feuer, und sofort breiteten sich die Flammen über Kopf und Schultern aus, erfassten innerhalb weniger Sekunden den ganzen Oberkörper. Ich schrie entsetzt, und die anderen Gefangenen nahmen den Schrei auf. Unser Geheul und das Rasseln der Ketten hallten von gleichgültigen Steinwänden wider. Wir konnten nichts für die Frau tun, und so schrien wir nur, während die Brennende völlig still blieb.
    »Mademoiselle Palmer, was ist los?« Louis-Césars Gesicht erschien vor mir, und ich fühlte vage, wie mich jemand schüttelte. Ein schriller, hoffnungsloser Schrei hallte durchs Zimmer, und ich brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass er von mir stammte.
    »Beruhige dich,
mia Stella,
beruhige dich!« Rafe schob den Franzosen beiseite und zog mich an seine Brust. Ich schob die Hände unter seinen Kaschmirpulli und drückte mich fest an ihn, nahm dabei den vertrauten Geruch seines Duftwassers wahr. Doch er vertrieb nicht den Gestank von Urin und dem brennendem Fleisch einer Frau, die nur wenig älter gewesen war als ich. Nach einer Weile sah ich auf und begegnete Louis-Césars Blick. »Sag mir, dass sie bereits tot war und nichts mehr spürte!« Ich hörte die Verzweiflung in meiner Stimme, und der Spiegel über dem Kamin zeigte mir weit aufgerissene Augen. Sie sahen aus wie die der Frau, doch ihre Augen hatten viel Schlimmeres gesehen als meine.
    »Mademoiselle,
ich versichere Ihnen: Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Ihnen zu helfen, aber ich verstehe Ihre Worte nicht.«
    Rafe strich mir übers Haar und rieb mir beruhigende Kreise über den Rücken. »Es war eine Vision,
mia Stella,
nur eine Vision«, flüsterte er. »Du hast sie nicht zum ersten Mal und weißt, dass die Bilder im Lauf der

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