Untreu
weiß sie jetzt. Zunächst geht es um den Bekannten ihrer Mutter.
Bekannter
, sagt Kai. Ihr perfekter Mund kräuselt sich zu einem ironischen Lächeln.
Was meinst du?,
fragt Maria.
Die Wahrheit. Es geht darum, dass du sie siehst und benennst. Schon vergessen?
Maria senkt den Kopf. Sie will nicht wissen, was jetzt kommt, aber ihr ist klar, dass sie dem nicht ausweichen kann. Ihre Mutter hat keinen Bekannten, sie hat einen ... Geliebten. Sie ist ihrem Mann, Marias Vater, nicht treu.
Vielleicht war sie es nie
, sagt Kai, als hätte sie - wieder einmal - ihre Gedanken gelesen (sie kann das, sie ist so viel weiter als Maria auf dem Weg zur allumfassenden Erkenntnis).
Nie?
Das Bild ihrer Mutter verzerrt sich in Sekundenschnelle, und das Ergebnis ist das Bild einer Frau, von der sie nichts, gar nichts weiß. Es ist der Schock, den viele in ihrem Alter aushalten müssen, seit so viele Ehen und Beziehungen nur noch auf Zeit geschlossen werden. Aber Maria weiß das nicht. In diesem Moment glaubt sie, sie sei die Einzige, deren Welt in Trümmer gelegt wurde, und das mit einer fatalen Unwiderruflichkeit.
Ihre Mutter ist nicht mehr ihre Mutter. Sie ist eine Fremde.
Nun ist es sicher. Sie hat keine Mutter mehr.
Maria senkt den Kopf und beginnt leise zu schluchzen, obwohl sie kaum Luft bekommt. Ein eiserner Ring scheint ihre Lungen zusammenzupressen. Kai legt ihr die Hand auf den Rücken, aber die entsetzliche Spannung will sich nicht lösen. Maria beginnt zu keuchen, ihre Tränen versiegen.
Ich kann nicht mehr atmen
.
Das ist der Schock. Das ist normal.
Ich will wieder atmen! Mach, dass es weggeht!
Du musst es ganz durchleben! Kämpfe nicht dagegen an!
Ich kann nicht! Ich sterbe!
Du kannst es. Ich bin bei dir.
Kais ruhige Stimme löst allmählich die Verkrampfung, der Ring lockert sich und verschwindet schließlich, um einer großen Traurigkeit Platz zu machen. Sie hat keine Familie mehr. Sie ist ganz allein.
Lass dir das nicht gefallen
. Eine Stimme, sie ist so leise, dass Maria sie nicht orten kann. Vielleicht war es Kai, vielleicht nicht.
Was willst du tun?,
fragt Kai in normaler Lautstärke.
Maria zuckt die Schultern. Im geschlossenen Auto wird es langsam heiß und stickig. Sie will nach Hause, in den kühlen, schattigen Garten ihrer Eltern. Aber sie hat ja kein Zuhause mehr.
Kai wiederholt ihre Frage mit einer gewissen Dringlichkeit in der Stimme.
Was willst du tun?
Maria zuckt die Schultern. Sie weiß nicht, was sie darauf antworten soll. Vielleicht weiß es Satan.
Du musst ihn treffen
, sagt Kai
. Den Geliebten deiner Mutter. Du musst ihn treffen.
Warum?
Er zerstört eure Familie. Du musst ihn treffen. Du musst wissen, wie er ist. Die erste Stufe heißt Erkenntnis, vergiss das nicht.
Aber was soll mir das nützen?
Kai lächelt geheimnisvoll.
Überlass das Satan. Er hat eine Strategie.
Welche?
Weiß ich doch nicht. Kenne ich all seine Wege? Er wird sie dir mitteilen. Aber zuerst musst du ihn kennen lernen.
Wen?
Den Mann, mit dem deine Mutter...
Maria hält sich die Ohren zu. Sie kann das jetzt nicht hören.
Ich will ihn nicht sehen. Was soll ich ihm sagen?
Satan wird dir das Rüstzeug zukommen lassen.
Wozu?
Es geht um Rache, Maria, hast du das immer noch nicht verstanden? Rache ist das erlösende Gewitter, das die Luft reinigt und uns alle zu einem neuen Anfang führt.
Satan sprach zu Leila und befahl ihr, den Pakt zu vollenden. Satan hatte kein Gesicht, aber Leila konnte ihn dennoch sehen. Er war im Zentrum eines Feuers, der einzige Bewohner lebloser, hoffnungsloser Finsternis.
GEH, sagte Satan. Um jedes seiner gemeißelten Worte züngelten Flammen. GEH UND KOMM ZU MIR. BEEIL DICH.
Leila öffnete die Augen und starrte in die Dunkelheit. Es gab keine Möglichkeit, Licht zu machen. Über ihr schnarchte eine übergewichtige Frau namens Vera. Vera drehte sich schnaufend um, und das Stockbett über Leila knackte lautstark wie schon so oft in dieser Nacht. Vera hatte versucht, einen Bankraub zu begehen, weil sie so hohe Schulden hatte und so wenig besaß, dass der Gerichtsvollzieher schon mehrfach unverrichteter Dinge wieder abziehen musste. Geld haben oder sterben, hatte sich Vera eines Tages gesagt und sich eine dieser Politiker-Karnevalsmasken gekauft. Diese Maske - es war das Gesicht Gerhard Schröders gewesen - und ihre Leibesfülle hatten sie verraten. Der Verkäufer der Maske hatte sie auf dem Überwachungsvideo der Bank wiedererkannt. 20000 hatte Vera erbeutet und musste sie wieder
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