Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
Vom Netzwerk:
seine Arme und Beine waren dick und schwer wie Blei. Er kam nicht voran, die Strömung trieb ihn immer wieder zurück.
    Zu ihr.
    Er holte tief Luft, aber seine Lungen gehorchten ihm nicht. Salzig schmeckendes Wasser floss in seinen Rachen. Er schloss den Mund und versuchte, durch die Nase zu atmen. Er wusste instinktiv, dass er kämpfen musste. Sein Vater tauchte vor ihm auf, mit strenger Miene.
    Glaub ja nicht, dass unsereinem was geschenkt wird, Junge. Uns nicht. Nie
.
    Seine Mutter stand in der Küche und schmierte ihm eine Semmel, damit er sich in der Pause nichts am Schulkiosk kaufen musste. (Alle Kinder bekamen Geld für den Kiosk und konnten dann den anderen von ihren Chips und Schokoriegeln abgeben, er bekam nur eine belegte Semmel, die niemand haben wollte, und die er meistens zur Hälfte aß, obwohl er viel lieber etwas anderes gehabt hätte.)
    Hast du was, dann bist du was
, sagte die Mutter,
umsonst gibt's nur den Tod.
    Er versuchte erneut, Luft zu holen. Er bewegte seine Glieder durch das sirupartig dicke Wasser, das vor seinen Augen milchig wurde, bis er nichts mehr sehen konnte außer Schlieren. Er musste sterben. Er wusste jetzt mit Sicherheit, dass er sterben musste. Die Frau in der schwarzen, regennassen Pelerine hob ihre Hand und stieß zu. Sie war schnell, viel schneller als er. Sie stieß zu, das Messer blinkte in ihrer Hand. Einmal, mehrmals. Er spürte keinen Schmerz, nur diese entsetzliche Schwäche, die ihn wehrlos zu Boden gehen ließ. Dunkelheit umhüllte ihn auf ewig. Alles war vorbei.
    Seine Augen. Er spürte sie. Sie waren geschlossen. In einer letzten Kraftanstrengung öffnete er sie, ohne etwas zu erwarten.
    Das Erste, was er sah, war weiß. Es bewegte sich. Langsam schärfte sich sein Blick. Eine Frau. Der weiß bekleidete Busen einer Frau. Sie machte sich über ihm an etwas zu schaffen. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, nur Bauch und Busen unter einem weißen Kleid. Er wollte etwas sagen, aber es kam nur ein unartikulierter Laut aus seinem Mund. Die weiße Frau hielt inne. Sie beugte sich zu ihm herunter und sah ihn prüfend an. Aus der Nähe sah Bauer die feinen Fältchen um ihren vollen, geschminkten Mund. Ihre Haut war rötlich und grobporig. Kein Make-up, registrierte er. Die grüngrauen Augen wirkten riesig, die Wimpern waren mit schwarzer Tusche verklebt.
    »Wach geworden?«
    Bauer zuckte zusammen. Ihre Stimme war rau wie die einer Kettenraucherin (seine Mutter war Kettenraucherin, er kannte sich aus). Sie entfernte ihr Gesicht von seinem und stellte sich auf, mit den Armen in die Seite gestemmt.
    »Wach?«, fragte sie noch einmal. Aus der Entfernung sah sie jünger aus und beinahe hübsch.
    »Ja«, sagte Bauer. Er hatte geträumt, tot zu sein. Das war normal nach dieser traumatischen Erfahrung, hatte ihm eine Ärztin am Abend zuvor gesagt - der Abend, an dem er zum ersten Mal seit vier Tagen sein Bewusstsein wiedererlangt hatte. Die Ärztin hatte wissen wollen, ob er im Koma etwas geträumt, etwas gesehen hatte, aber diese Frage hatte er nicht beantworten können. Seine Erinnerung war von umfassender Schwärze, so als sei er vier Tage lang tot gewesen. Das große Nichts, hatte er zur Ärztin gesagt, und die hatte vor sich hin genickt und ihn dann darauf vorbereitet, dass er einige Albträume haben würde.
    »Ich bin Schwester Viola«, sagte die Frau vor seinem Bett. Sie rollte ganz leicht das R. »Besuch ist für Sie da. Er wartet draußen.«
    »Besuch?«
    »Ihre Chefin und ein Kollege. Sie warten seit...« sie sah auf die Uhr »... einer halben Stunde ungefähr. Wir haben sie nicht hereingelassen, weil Sie geschlafen haben.«
    »Wie spät ist es?«, fragte Bauer.
    »Drei Uhr zehn genau. Haben Sie Schmerzen?«
    Bauer sah an sich herunter und betastete sich unter dem Schlafanzug. Es war sein eigener. Jemand musste in seiner Wohnung gewesen sein und ihn gebracht haben. »Sind meine Eltern hier?«
    »Ihre Mutter war oft hier, auch vorhin, während Sie geschlafen haben. Jetzt ist sie etwas einkaufen. Aber sie kommt wieder.« Die Schwester lächelte.
    »Was ist passiert? Mit mir? Die Verbände - all das...«
    »Das hat Ihnen doch gestern Frau Doktor Mewis erklärt. Messerstiche. Eine ganze Reihe. Sie hatten sehr viel Glück.«
    Im selben Moment spürte er das Brennen - überall in und an seinem Körper. »Es tut weh«, sagte er schwach.
    »Das ist normal.« Sie holte eine Spritze aus der Tasche ihres Kittels, entfernte die Schutzumhüllung von der Nadel und stach mit der Kanüle

Weitere Kostenlose Bücher