Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
Vom Netzwerk:
Ficus Benjamini, den Oleander. Sie gediehen nicht mehr so wie früher, als spürten sie, dass ich ihnen meine Liebe entzogen hatte, die nun ganz dir gehört. Der Oleander hatte Läuse, die resistent schienen gegen alle Schädlingsbekämpfungsmittel, der Ficus Benjamini, früher grün und üppig, verlor die Blätter, das Orangenbäumchen wollte nicht mehr blühen.
    Ich sah aus dem Fenster, auf die dünne Schneedecke im Garten, aus der bräunliche Halme spitzten, auf die Sträucher dahinter, gepflanzt als eine grüne Mauer, die uns den Blick auf die anderen Gärten versperrt, und ich fühlte mich gefangen in meinem kleinen Reich, das ich mitgeschaffen hatte.
    Trotzdem hielt mich etwas davon ab, meinen Mantel, meine Schlüssel, meine Handtasche mit Geld, Autopapieren, Make-up und Lippenstift zu nehmen, und aufzubrechen. Ich konnte mir nicht mehr vormachen, ahnungslos zu sein. Ich wusste jetzt, was passieren würde - ich wusste, was ich von dir wollte, und dass das mehr war als Freundschaft, vermischt mit einem kleinen, erlaubten Schuss Verliebtheit.
    Wenn ich mich richtig erinnere, klingelte dann das Telefon und erlöste mich aus der Erstarrung. Ich wusste nicht, ob du das warst, um dich zu erkundigen, wo ich blieb. Wenn ja, solltest du denken, ich sei schon weg, auf dem Weg zu dir. Wenn es eine Freundin war, wollte ich nicht mit ihr reden, jetzt nicht, nicht in meinem Zustand der Unentschlossenheit und Schwäche. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein; niemand sprach darauf. Ich zog den Mantel an, schnappte Schlüssel und Tasche und verließ mein Gefängnis. Vielleicht wäre ich sonst nicht gekommen - nie mehr. Vielleicht wäre das besser gewesen.
    Nein. Streich das. Ich bin in dieser Stimmung, in der ich eigentlich besser nicht an dich denken sollte.
    Ich fuhr wie in Trance. Auf den Straßen lag bräunlicher Schneematsch, durchzogen von Reifenspuren. Es war viel Verkehr. In meinem Kopf drehte sich die ewige Gedankenspirale, wie eine gesprungene Platte, die sich nicht abstellen ließ. Das kannst du nicht machen. Das kannst du nicht machen. Das kannst du nicht machen. Das kannst du nicht machen.
    Ich schaltete das Radio ein, aber auf allen Sendern kamen nur Nachrichten. Ich wollte Musik hören, laute Musik, die mich betäubte und gleichzeitig anregte. Ich sah im CD-Kasten nach und fand nur Klassik und Jazz.
    Schließlich stand mein Auto vor deinem Haus, und ich hatte keine Ahnung, wie es da hingekommen war. Ich saß im Auto, die Hände immer noch am Steuer, die Stirn aufs Lenkrad gelegt. Ich hätte ewig so dasitzen können, aber nach ein paar Minuten kroch die Kälte durch Mantel und Schuhe (die Frau, die Ehebruch beging, weil sie keine Standheizung hatte), und ich stieg aus. Meine Strafe begann: der Spießrutenlauf durch den Hauseingang. Wieder lungerten sechs, sieben halbwüchsige Jungs an der Treppe herum, als hätten sie sich dort seit Wochen nicht wegbewegt. Wieder dauerte es eine Ewigkeit, bis der einzige Lift kam. Wieder fühlte ich mich angestarrt, gemustert und für ungenügend empfunden. Nur warst du diesmal nicht dabei. Niemand lenkte mich ab von diesen Blicken.
    Ich versuchte, mutig zu sein. Ich wandte mich um, erwiderte den unverschämten Blick der Jungs mit hocherhobenem Kopf - und stellte fest, dass sie mich gar nicht beachteten. Oder zumindest so taten. Es war eine Lektion, eine von vielen, die ich lernte, seit ich dich kenne: Ich bin nicht wichtig. Es gibt außerhalb meiner engsten Umgebung niemanden, der mich auch nur wahrnimmt. Ich wollte lächeln über meinen Wahn, aber ich war zu unglücklich dazu.
    Durch den Hausflur pfiff der Wind. Die Jungs schwiegen und zogen ihre Anoraks enger um sich. Ihre dunklen Gesichter wirkten grau im Neonlicht. Schwiegen sie meinetwegen?
    Der Lift kam, und ich stieg ein. Es war doch alles das erste Mal für mich. Der lange Gang bis zu deiner Wohnung im achten Stock. Wie ich vor der Tür stehen blieb, wie ich die Hand hob und nicht wusste, ob ich klopfen oder klingeln sollte. Hatte ich jemals so vor einer Tür gestanden?
    Du hast meine Schritte gehört und mir aufgemacht. Ich weiß nicht mehr, was du gesagt hast, ob du sauer warst, weil ich mich verspätet hatte, oder ob du froh warst, dass ich überhaupt noch kam, oder ob du vergessen hattest, dass wir uns eine Stunde früher verabredet hatten. (Um zehn. Und es war fast elf). Ich weiß nur noch, wie es für mich war, zum zweiten Mal ganz allein mit dir zu sein. Ich erinnere mich an die Verlegenheit von uns beiden, die

Weitere Kostenlose Bücher