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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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mehr. Die Kälte schwächte ihn so sehr, dass selbst sein Hunger verschwand. Er sah auf die Uhr: Mehr als eine halbe Stunde stand er jetzt hier. Was, wenn Farkas bei jemandem übernachtete und den Rest des Abends nicht mehr vor der Haustür erschien? Bauer konnte nicht die ganze Nacht hier stehen, das brachte er nicht fertig, das musste Mona verstehen...
    (Sie würde schon verstehen. Dass er ein Versager war, der nicht einmal einen Überwachungsjob auf die Reihe bekam.)
    Ein leichter Wind kam auf, strich durch die mageren, mit Stöcken abgestützten Bäumchen, die die Stadt hier hatte einpflanzen lassen, auf dass sie sich eines Tages vielleicht zu einer Allee auswachsen würden, wenn sie die Abgase nicht vorher verdorren ließen. Wieder fuhr ein Auto an ihm vorbei, dann noch eins, dann ein drittes. Dann erneut Stille. Dann hörte er ein Geräusch, das klang, als ob eine Haustür zufiel. Bauer löste sich aus dem Torbogen und sah in die Richtung, aus der er glaubte, etwas gehört zu haben.
    Jemand verließ tatsächlich das Nachbarhaus in die andere Richtung. Ein Mann, der von hinten jung aussah. Es war nicht zu erkennen, ob es sich um Farkas handelte. Bauer prägte sich rasch die Nummer des Hauses ein, aus dem der Mann gekommen war; sie würden später immer noch überprüfen können, wer hier wohnte. Dann folgte er der Gestalt, weil er, wie er sich in einem Anfall von Verzweiflung eingestand, einfach nicht mehr stehen konnte. Wenn es nicht Farkas war, dann hatte er ihn eben verloren. Dann musste er zu seinem Auto zurückkehren, und zu Farkas' Wohnhaus fahren. Irgendwann würde Farkas dort schon wieder erscheinen.
    Doch von Schritt zu Schritt wurde Bauer sicherer, dass es sich doch um Farkas handelte. Der Mann vor ihm trug zwar nicht die Jacke, die Farkas eben noch angehabt hatte, sondern einen längeren Mantel, aber etwas an seinem Gang erinnerte dennoch an ihn. Die Größe stimmte und auch die geradezu demonstrativ zur Schau gestellte Hast, die angespannt hoch gezogenen Schultern, die tief in den Manteltaschen vergrabenen Hände -
eher Fäuste
, dachte Bauer.
    Was hatte er in dem Haus wohl gewollt, überlegte Bauer. Wen hatte er getroffen? Karin Belolavek etwa? Versteckte sie sich dort? Und warum hatte er nun einen Mantel an? Die Gedanken schwirrten Bauer durch den Kopf, aber er konnte keine Erklärung, keine Antwort auf seine Fragen finden. Er war viel zu erschöpft, um noch klar denken zu können. Im Gehen rieb er sich seine kalten Finger, schon längst hatte er wieder jede Orientierung verloren. Der Mann bewegte sich mit einer Schnelligkeit und Sicherheit durch die Straßen, dass zumindest feststand: Er war hier schon öfter gewesen. Er kannte sich hier richtig gut aus.
    Schließlich erreichten sie eine belebte Hauptstraße. Der Mann bewegte sich auf ein blau erleuchtetes U-Bahn-Schild zu, Bauer folgte ihm. Eine lange Rolltreppe führte ins Tiefgeschoss, auf der sich eine Gruppe Teenager lärmend aneinander drängte. Bauer verlor den Mann für ein paar Sekunden aus den Augen, sah ihn aber wieder, als er am Ende der Rolltreppe zu den Zugängen zu den Bahnstreifen strebte. Bauer zwängte sich durch die Gruppe und rannte die Rolltreppe herunter. Er verlangsamte seine Schritte gerade noch rechtzeitig, denn Farkas - jetzt konnte Bauer sehen, dass er es tatsächlich war - stand nun ganz entspannt mit dem Profil zu Bauer an einem Fahrkartenautomaten und zog sich ein Ticket.
    Bauer hielt sich hinter ihm und hoffte, dass Farkas sich nicht aprupt umdrehen würde. Aber Farkas schien sich sicher zu fühlen. Langsam, fast schlendernd, begab er sich zu einem der Zugänge, entwertete sein Ticket und ging auf den halb leeren Bahnsteig. Der Zug fuhr ein paar Sekunden später ein; Bauer stieg ins gleiche Abteil wie Farkas und versteckte sich hinter einem dicken Jungen mit blauer Fliegerjacke. Der Zug fuhr an. Bauer sah sein eigenes Gesicht, das sich undeutlich in den Scheiben spiegelte. Es wirkte alt und gestresst mit dunklen Ringen unter den Augen, schmalen Lippen und einer Nase, die hervorsprang wie ein Schnabel. Bauer wandte sich ab. Bei diesem Licht, dachte er, sahen alle so aus. Aber er wusste, dass das nicht stimmte.
    Farkas stand am anderen Ende des Abteils, die Hand an einer Haltestange, und ließ sich durchschaukeln. Er wirkte ruhig, beinahe schlaff. Das Treiben um ihn herum, die lärmenden Jungencliquen, die herausgeputzten, kichernden Mädchen, schien ihn völlig kalt zu lassen
. Er fährt die Strecke oft
, dachte

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