Untreu
aussah.
Farkas hielt sich ein Mobiltelefon ans Ohr und sprach im Gehen leise, aber erregt hinein. Bauer rückte näher auf, verstand aber nichts. Farkas bog in eine kleine, leere Seitenstraße, und gezwungenermaßen ließ sich Bauer zurückfallen. Sie waren jetzt seit etwa zwanzig Minuten quer durch die Stadt unterwegs und kamen nun in ein Viertel, in dem Bauer noch nie gewesen war. Hohe, etwas heruntergekommene Altbauten säumten eine breite, menschenleere Straße. Bauer hatte vorsorglich einen Stadtplan mitgenommen, aber noch keine Gelegenheit gehabt, einen Blick hineinzuwerfen.
Farkas sah sich nicht um. Er telefonierte noch immer, machte wilde Gesten mit der freien rechten Hand und schien seine Umgebung überhaupt nicht zu beachten. Erst als die Straßenlaternen aufflammten, fiel Bauer auf, wie dunkel es mittlerweile geworden war. Wieder bog Farkas ab, und Bauer begann schneller zu laufen, um ihn nicht zu verlieren. An der Querstraße hielt er an und spähte vorsichtig um die Ecke. Die Straße war leer, kein Auto unterwegs, kein Fußgänger. Auch Farkas war nirgendwo mehr zu sehen.
Bauer lief die Straße, in der Farkas spurlos verschwunden war, hinauf und hinunter. Er sah in Toreinfahrten hinein und versuchte, Haustüren aufzudrücken. Es gab keine Seitenstraße, keine Unterführung, keine schmale Abkürzung zwischen den Häusern hindurch. Farkas musste in einem der Häuser sein. Bauer überlegte. Er hatte Farkas höchstens zehn, zwanzig Sekunden aus den Augen verloren. Es war also eins der Häuser am Anfang der Straße. Bauer joggte wieder zurück und nahm die Klingelschilder, eins nach dem anderen, in Augenschein. Kein Name sagte ihm etwas, und er konnte nicht überall klingeln.
Er musste hier warten, ausgerechnet an einer Stelle, wo es nicht einmal einen Imbiss gab. Er faltete seinen Stadtplan auseinander und legte ihn auf ein Mäuerchen. Er fand zumindest das Viertel, wenn auch nicht die Straße auf dem entsprechenden Planquadrat. Aber selbst wenn - was würde ihm diese Information nützen?
Mit fortschreitender Dunkelheit wurde es kalt. Bauer stellte sich in einen der verschatteten Hauseingänge, versenkte die Hände in den Hosentaschen und trat von einem Fuß auf den anderen. Ein Auto näherte sich und fuhr röhrend an ihm vorbei. Die Räder knatterten über das Kopfsteinpflaster wie Maschinengewehrfeuer. Das Geräusch des Motors war noch zu hören, als der Wagen schon längst abgebogen war. Stille Gegend hier, dachte Bauer. Die Kälte des Bodens zog langsam seine Beine empor, machte eine Pause in seiner Blasengegend und bewegte sich dann Richtung Magen.
Eine heiße Suppe wäre jetzt das Richtige. Ausgerechnet jetzt, wo er endlich wieder einmal Hunger hatte, gab es nirgendwo etwas zu essen. Bauer dachte an seine Eltern und seine zwei jüngeren Schwestern, die jetzt wahrscheinlich am weiß lackierten Esstisch saßen und sich fragten, was ihr Patrick wohl so treibe. Sie würden schön dumm schauen, wenn sie ihn hier sehen könnten.
Bauer hörte das Klacken hoher Absätze. Eine Frau mit einem Hund kam den Bürgersteig entlang, dicht an seiner Einfahrt vorbei. Er zog sich in die Tiefe des Torbogens zurück. Wenn die Frau ihn hier entdeckte, so wie er da stand, mit seiner tief in die Stirn gezogenen Mütze, würde sie ihn für einen Sittenstrolch halten.
Bei dem Gedanken musste Bauer grinsen. Fast lockte es ihn, die Frau zum Schein zu verfolgen - nur so, nur um zu sehen, wie sie reagieren würde. Zum ersten Mal erkannte er, wie ungemein einfach es war, jemandem Angst zu machen. Er hätte nichts anderes zu tun, als immer ein paar Schritte hinter der Frau zu bleiben. Mehr wäre nicht nötig, um ihr den Schrecken ihres Lebens einzujagen. Er erinnerte sich an die häufig erzählte Geschichte seiner Exfreundin, die eines Nachts nach einem Spätfilm eingeschlafen war und vom Klingeln des Telefons geweckt wurde. Eine Männerstimme flüsterte ihr mehrere obszöne Drohungen ins Ohr und hängte anschließend auf. Das Ganze hatte höchstens anderthalb Minuten gedauert und sich nie wiederholt, aber der Effekt war enorm gewesen. Wochenlang hatte sie danach unter Schlafstörungen gelitten, und wenn Bauer Nachtdienst hatte, musste er sie stündlich anrufen und stets für sie erreichbar sein.
Mit einem normalen Mann hätte sie diese Probleme nicht gehabt. Ein normaler Mann war gegen sechs zu Hause, jeden Tag, bis zur Rente.
Bauer schlotterte inzwischen vor sich hin. Er war zu dünn geworden, hatte keine Fettreserven
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