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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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Bauer. Vielleicht ergab das später einmal einen Hinweis.
    Am Hauptbahnhof stieg Farkas aus. Menschenmassen drängten sich auf den Bahnsteigen, es roch nach Dieselöl, Gebäck, Burgerlokalen, Schweiß und Leder. Bauer ignorierte seinen wieder ständig wachsenden Hunger und folgte Farkas weiter. Es war mittlerweile neun Uhr. Bauer fixierte Farkas' Hinterkopf, der vor ihm auf und ab schaukelte und immer wieder für Sekundenbruchteile in der Menge verschwand. Farkas war jetzt sein Führer, und Bauer war der Hund, den Farkas an einer unsichtbaren Leine hinter sich herzerrte, ohne es zu wissen. Alle Sinne Bauers fokussierten sich auf die Person Farkas', dessen Ziele, Ängste und Pläne. Wieder liefen sie auf eine Rolltreppe zu, die ein Stockwerk tiefer fuhr. Eine weitere Rolltreppe führte auf den Bahnsteig einer S-Bahn-Station.
    Langsam überwältigte Bauer die Müdigkeit. Er hatte anderthalb Wochen kaum geschlafen, nur wenig gegessen und viele Stunden gegrübelt. Er war am Ende seiner Kräfte. Was sollte er tun, falls Farkas tatsächlich in dem Wohnblock verschwand und nicht mehr auftauchte? Durfte er dann wagen, sein Auto zu holen, das mindestens zehn Fußminuten entfernt parkte? Bauer stieg in den Zug und setzte sich auf einen freien Platz, ohne Farkas im Auge zu behalten. Sein Blick blieb an den braunen Kunstlederbezügen hängen, wanderte weiter zur braunen Holzimitatbeschichtung der Lehnen, und für ein paar Momente vergaß er einfach, warum er hier war. Seine Augen schlossen sich ganz langsam, sein Kopf schwankte im Rhythmus der Gleise, die unter dem Zug wegschossen, sich teilten und wieder zusammengeführt wurden, nach einem unergründlichen Plan... Er nickte ein.
    Bauers Gegenüber, eine ältere Frau, sah einen blassen jungen Mann mit blonden Bartstoppeln, der so erschöpft aussah, dass er ihr beinahe Leid tat.
    »Spürst du die Power?«
    »Ja.«
    »Gib sie uns.«
    »Ja.«
    »Gib alles, was du hast.«
    »Ja. Ja.«
    Die Plakette bewegt sich in unruhigen Zickzacklinien über das Brett. In Marias Ohren klingt ein leises, fernes Rauschen, wie immer, wenn sie mit der anderen Welt kommuniziert.
    »Frag!«
    »Ja. Warte.«
    »Frag es jetzt.«
    Und Maria schließt die Augen und stellt sich ihre Mutter vor, konzentriert sich auf ihr Gesicht mit den schmalen Lippen, der feinen Nase, den umschatteten blauen Augen. Irgendwo in diesem Gesicht ist der Grund für Marias Hass versteckt, aber sie findet ihn nicht. Einen Moment lang fühlt sie sich schwindlig wie im freien Fall. Sie hat gelernt, in dieser Situation die Augen nicht zu öffnen, aber sie spürt, wie ihr der Schweiß auf die Stirn tritt.
    »Nicht aufgeben, du bist ganz nah dran.«
    »Ja.«
    Wie aus weiter Ferne hört Maria nun die Stimme der Frau mit den kurzen roten Haaren. Maria versteht nicht, was sie sagt, aber sie registriert einen beunruhigten Unterton. Dann schaltet sich wieder Kai ein, ruhig und streng. Sie lässt sie nicht im Stich.
    »Was siehst du?«
    Maria öffnet langsam die Augen und senkt sie auf das Brett. Die Plakette bewegt sich jetzt schnell und zielgerichtet.
    TÖTE SIE.
    Maria erstarrt vor Entsetzen. Sie springt auf, schleudert das Brett auf den Boden und läuft quer durch den großen, dunklen Raum. Sie findet nicht gleich die Tür in dem fremden Haus, und einen schrecklichen Moment lang glaubt sie, es gäbe keine, sie sei hier für immer gefangen. Doch dann stößt sie die schwere Tür auf und stürzt auf die Wiese, zu Kais verwaist dastehendem Auto. Der Wind ist noch stürmischer geworden, die Landschaft wirkt demgegenüber seltsam starr und unbewegt. Maria bleibt keuchend stehen, mit dem Rücken zum Haus.
    Etwas stimmt nicht. Mit ihr. Etwas ist nicht richtig an dieser ganzen Situation. Jemand berührt sie an der Schulter, und sie macht vor Schreck einen Satz zur Seite. Es ist Kai, die neben sie tritt, ohne sie anzusehen. Sie legt ihre Hand auf Marias Nacken, eine der intimsten Berührungen, die sie sich je gestattet hat. Langsam beruhigt sich Maria. Unter Kais warmer Hand spürt sie, wie steif und kalt ihr Körper ist. Die Panik durchzieht sie in Wellen, die allmählich schwächer werden. Kai ist wie Medizin für sie.
    »Leila macht sich Sorgen«, sagt Kai. Maria zuckt die Schultern. Leilas Gefühle sind ihr egal.
    »Ich mir auch«, sagt Kai. Langsam wendet sie sich ihr zu und nimmt sie in den Arm, das zweite Mal seit jenem Abend, an dem sie sich kennen gelernt haben. Auch ihr Körper fühlt sich warm an, beinahe heiß.
    »Sag mir, was es

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