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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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angereichert. Ja, ich kann den Täter verstehen, seine heiße Wut, die monatelang in kaltem Kalkül geschmiedet wurde, bis sie schließlich zur tödlichen Waffe wurde.
    Und gleichzeitig ist da dieses quälende Mitleid mit all den Opfern, die bestraft wurden, obwohl sie am wenigstens wissen konnten, was den Täter antrieb. Wie kann man Eltern und Lehrer zu Schuldigen degradieren, ohne wirklich alle Hintergründe zu kennen? Bildet sich denn wirklich irgendjemand dieser arroganten Mahner und Warner ein, er hätte es im Zweifelsfall besser gemacht? Muss man als Mutter oder Vater künftig ein Hellseherdiplom ablegen?
    Niemand weiß, was jemand anders denkt und fühlt, es sei denn, der andere spricht es aus. Es gibt keine einfachere Disziplin als die, seine Mitmenschen zu hintergehen. Jeder kann sie lernen. Ich bin das beste Beispiel dafür, wie sich die Kunst der Täuschung perfektionieren lässt, ich, die ich heute eine Expertin im Verfassen kunstvoller Notlügen bin. Meine Fassade ist nicht mehr länger untadelig, aber - Übung macht den Meister - sie wird noch eine ganze Zeit lang halten, auch dann noch, wenn das Innere bereits zu erodieren beginnt und scheinbar stabile Stützpfeiler bersten. Niemand merkt, was wirklich mit mir los ist, darauf gebe ich mein Wort.
    Ich hasse dich. Du hast mir deine Kraft gegeben und sie mir ausgerechnet dann wieder entzogen, als sie anfing, in mir Wurzeln zu schlagen und zu meiner Kraft zu werden. Du hättest mir mehr Zeit geben müssen. Ich verzeihe dir nicht, niemals, dass du dich jetzt anschickst, mich allein zu lassen.
    Du findest plötzlich so viele Gründe, mich nicht zu sehen. Du behauptest, du hättest ein schlechtes Gewissen gegenüber meiner Familie. Du lügst, du hättest einen Job in einem bestimmten Lokal angenommen (ich habe dich verfolgt, es gibt weder den Job noch das Lokal). Du rufst mich nicht zurück. Du lässt dein Mobiltelefon so lange läuten, bis ich wieder auf der Mailbox lande, die bereits voll von Nachrichten an dich ist - liebevolle, flehentliche, bitterböse. Du hast mich zur Megäre gemacht, zu einer Person, die ich nicht mal mehr im Spiegel anschauen mag, und ich bin dieser Verwandlung wehrlos ausgeliefert. Warum sind Frauen so? Warum kann die Liebe sie zu Monstern machen?
    Seitdem klar ist, dass dein Interesse schwindet, spüre ich dieses erschreckende Maß an Wut in mir. Manchmal setze ich mich ins Auto und fahre auf die Autobahn, nur um zu weinen und zu schreien. Um mich herum sind anonyme Menschen, einsam in Blechkisten gesperrt so wie ich, und in ihrem Beisein kann ich mich endlich gehen lassen. Denn sie hören mich nicht, und würden sie mich sehen, wäre es ihnen egal. Sie sind geschützt vor den Gefühlen anderer. Jeder in seinem eigenen potentiellen Sarg aus Glas und Metall.
    Ich kreiere raffinierte Rachepläne, die meistens die Autofahrt nicht überleben. Ich denke daran, dir jede weitere Beziehung zu vergiften, und überlege mir das Wie in allen grausigen Einzelheiten. Gleichzeitig weiß ich, dass ich perfiderweise einer Person, die so wenig besitzt wie du, fast nichts wegnehmen kann. Wärst du reich, könnte ich mich an den Insignien deines Wohlstands vergreifen, hättest du Frau und Kinder, würde dich diese Tatsache erpressbar machen, gäbe es tatsächlich diesen von dir erfundenen Job, könnte ein kurzer, anonymer Brief an deinen Chef einiges ins Rollen bringen. Aber du bist arm, ohne Anhang, ohne Beruf. Du kannst jederzeit deine Zelte abbrechen und untertauchen: Du bist so frei, wie ich es niemals war.
    Ich kann dir nichts anhaben. Ich kann dich nicht halten.
    In den letzten Wochen habe ich so viel geweint, dass meine Augen auch dann schmerzen und brennen, wenn ich ausnahmsweise einmal gut geschlafen habe und ich mich halbwegs wohl und glücklich fühle. Mein Mann fragt immer häufiger, was mit mir los ist. Nicht im Ton echter Zuneigung und Sorge, sondern gereizt und nur noch mühsam höflich. Nichts, sage ich und gehe rasch aus dem Zimmer, denn mein Mitleid mit mir selbst überwältigt mich: keine Liebe, nirgends. Ich habe bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass es sehr leicht ist, eine glückliche Affäre zu verbergen. Wird die Affäre unglücklich, ist es furchtbar schwer. Aber die Fassade hält, die Fassade hält, die Fassade hält, die Frisur sitzt, das Make-up verbirgt hektische rote Flecken, die Mascara ist tränenfest, und Lippenstift habe ich immer dabei.
    Ich denke ans Sterben und ans Töten, wie der junge Mörder in jener Schule

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