Unvergessen wie Dein Kuss
Edward Warwick brauchte ihn nicht. Er konnte seine Schlussfolgerungen selbst ziehen, sein Verstand war messerscharf.
“Ich dachte”, fuhr Warwick nach einer langen Pause fort, “dass Fürstin Isabella tief in Schulden stecke und gezwungen sei, Salterton zu verkaufen. Verdammt ärgerlich!”
“Ihre Schulden waren drückender, als wir angenommen hatten. Sie hatte keine Zeit zu verlieren.” Pearce schüttelte den Kopf. “Henshalls sind sehr diskret, Sir.”
Warwick seufzte. Auch seine Informationen waren nicht immer korrekt.
“Das kommt ungelegen.”
Pearce wusste, dass das eine Untertreibung war. Er wartete.
Warwick seufzte erneut. Dann sagte er im sachlichen Ton: “Nun gut. Überlassen Sie das mir. Beobachten Sie Stockhaven und halten Sie mich auf dem Laufenden.”
Er holte einen kleinen Beutel aus der obersten Schublade des Schreibtisches. Ein leises metallenes Geräusch war zu hören. Warwick schob Pearce den Beutel über den Schreibtisch zu. “Gute Arbeit.”
Pearce war so erleichtert, dass ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat. “Danke, Sir.”
Im Brunswick Gardens auf der anderen Seite der Stadt las Isabella die Abendausgabe des
Gentlemen’s Athenian Mercury
. Diese Zeitschrift beschäftigte sich in einem ausführlichen Artikel mit ihr, was sie aber keineswegs störte.
Mitglieder des Ton werden ohne Zweifel enttäuscht sein, dass sie seit der Rückkehr der schönen Fürstin von fernen Gestaden so wenig von ihr zu Gesicht bekommen haben. Kann es sein, dass die Fürstin eine Einsiedlerin geworden ist, oder ist es nur, dass sie sich wegen knapper Mittel kein neues Kleid leisten kann, mit dem sie in der Gesellschaft glänzen könnte? Oder darf man annehmen, dass die wohlanständigen Gesellschaftsgastgeberinnen es nicht ertragen, dass ein solcher Paradiesvogel ihre Nester in Unruhe versetzt? Eines ist sicher: Wenn die Fürstin sich zu Hause versteckt, wird sie keinen reichen Gentleman finden, der allen ihren Bedürfnissen entgegenkommt …
Isabella legte die Zeitschrift mit einem Seufzer nieder. Eine ganze Woche hatte dieses Sensationsblatt eine Serie über die Rückkehr einer gewissen fürstlichen Persönlichkeit gebracht, die es verschämt als Fürstin IDC bezeichnete. Man brauchte nicht zu den scharfsinnigsten Geistern Europas zu gehören, um herauszufinden, wer gemeint war. Es schien, dass jemand Informationen über sie verkaufte. Das meiste war natürlich bloße Vermutung, aber mehrmals war der Informant gefährlich nahe an der Wahrheit gewesen. Es hatte zum Beispiel einen Hinweis darauf gegeben, dass die Fürstin sich gezwungen sah, das Haus im Brunswick Gardens zu verkaufen. Isabella fand es beunruhigend, dass offenbar jemand so viel über ihr Leben wusste.
“Miss Penelope Standish, Durchlaucht.” Die sanften Töne des Butlers unterbrachen Isabellas Gedanken.
Der Ton des Butlers verfehlte seine Wirkung auf die junge Dame nicht, die gerade die Bibliothek betrat, denn sie lächelte ihm augenzwinkernd zu. Als der Butler mit einem kaum wahrnehmbaren, aber unwiderstehlichen Zucken der Lippen reagierte, brach sie in lautes Gelächter aus.
“Guten Abend, Belton. Ich habe immer den Eindruck, dass es Ihr Wunsch ist, eine echte Duchess anzukündigen.”
“Madam …”, erwiderte der Butler mit ernsten Gesichtsausdruck, “es steht mir kaum zu, irgendeine Präferenz zu äußern.”
Pen schenkte ihm erneut ein gewinnendes Lächeln und glich dabei sehr ihrer Schwester, die sie mit einem Kuss begrüßte.
“Du siehst heute Abend so betrübt aus, Durchlaucht”, sagte sie. “Hast du etwa eine Guinee verloren und dafür einen Groschen gefunden?”
“Lass doch bitte den Unsinn mit ‘Durchlaucht’“, antwortete Isabella. “Ich habe Belton immer wieder darum gebeten, aber er besteht darauf, dass es nicht angemessen sei, mich nur mit ‘Madam’ anzureden.”
“Der Meinung bin ich auch”, erwiderte Pen fröhlich und ließ sich mit jugendlichem Ungestüm auf das Sofa fallen. “Du kannst deinen Dienern ruhig die Befriedigung geben, dich angemessen anzureden, wenn sie schon das Vorrecht haben, für eine Fürstin tätig zu sein. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Dame in hoher Stellung, die ihre eigene Bedeutung nicht akzeptieren will.”
“Du redest ziemlichen Unsinn”, erwiderte Isabella, fühlte sich aber doch etwas aufgeheitert. Der Besuch ihrer Schwester war allemal besser, als einsam Tee zu trinken und sich darüber Gedanken zu machen, woher der
Gentlemen’s Athenian
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