Unvergessen wie Dein Kuss
je zuvor. Er liebte sie nicht. Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt in der Hoffnung, das Misstrauen zwischen ihnen zu mindern. Stattdessen war das Gefühl der Leere jetzt stärker als vorher, als hätte sie alles auf eine Karte gesetzt – und verloren. Sie konnten durchaus ehrlich zueinander sein, und da war eine körperliche Nähe, die ihr sowohl Qual als auch Vergnügen bereitet hatte. Doch Liebe war nicht dabei gewesen. Trotz all ihrer vielschichtigen Gefühle und Gedanken, was Marcus anging, war es ihr nie in den Sinn gekommen, dass sie vielleicht eine Rivalin haben könnte. Jetzt fragte sie sich, wie sie so blind hatte sein können.
Was war mit India?
hatte Marcus gefragt, und Isabella hatte sich zuerst über diese unwichtige Frage gewundert. Bis sie den Zorn, die Loyalität und die Leidenschaft in seinen Augen gesehen und gespürt hatte, wie ihr der Mut sank. Natürlich! India war diejenige, die Marcus geheiratet hatte. India hatte damals seine Liebe und seine Loyalität bekommen – und er war ihr im Herzen immer noch treu. Natürlich wusste sie, dass Marcus sie begehrte, und zwar mit jenem schmerzenden Verlangen, das auch sie selbst empfand. Aber das war sehr verschieden von den Gefühlen, die er für seine erste Frau hegte.
Der Gedanke, dass Marcus India liebte, tat weh. Es hatte in der Nacht zuvor wehgetan und schmerzte auch jetzt noch. Isabella hatte einen großen Schrecken verspürt, als Marcus es ihr sagte. Was davon blieb, war ein dumpfer Schmerz. Sie kam sich jetzt so töricht vor, dass sie daran überhaupt nicht gedacht hatte. Beschämt musste sie sich eingestehen, dass sie immer geglaubt hatte, seine Leidenschaft habe stets allein ihr gegolten.
An Schlaf war nicht zu denken gewesen. Bei Tagesanbruch hatte sie den Wagen kommen lassen und die Straße nach Süden durch die schlafende Stadt genommen. Sie hatte hastig gepackt und Anweisungen für die Diener hinterlassen, ihr so bald wie möglich nach Salterton zu folgen. Dann hatte sie einen letzten Blick auf Marcus geworfen und war gegangen.
Hinter Richmond entfaltete sich die Landschaft auf beiden Seiten zu einem Mosaik aus Feldern, Hecken, Wäldern und Dörfern. Die Straße war gut. Es war wieder ein herrlicher Sonnentag. Isabella versuchte, ein wenig zu schlafen. Aber ihre Gedanken ließen sie auch jetzt nicht zur Ruhe kommen.
Bereits am späten Nachmittag kamen sie an die Kreuzung, wo die Straße nach Exeter westlich verlief. Sie nahmen die südliche Route nach Winchester. Isabella hatte einen ganz bestimmten Ort im Sinn, an dem sie über Nacht bleiben wollte. Die Herbergen und Hotels der Stadt kamen für sie nicht infrage. Aber außerhalb der Stadt, am Fuße alter Mauern, lag eine noch ältere Schankwirtschaft mit dem Namen “The Ostrich”. Die Wirtschaft war von einem geistlichen Orden erworben worden. Was konnte für eine allein reisende Frau passender sein als der sichere Hafen eines Klosters?
Einer der Fratres begrüßte Isabella mit einem erfrischenden Becher Met. Ihr spärliches Gepäck wurde in einen Raum im ersten Stock gebracht. Von dort aus blickte man auf den Obstgarten. Ein Krug mit erfrischend kühlem Wasser zum Waschen stand bereit, und auf dem schmalen Bett lag frisches Leinen. Nachdem Isabella sich vergewissert hatte, dass ihr Kutscher und ihr Pferdeknecht gut untergebracht waren, zog sie sich auf ihr Zimmer zurück, legte sich auf das Bett und schloss die Augen. Nach einer Weile drang der Duft von gebratenem Fleisch in ihr Zimmer. Isabella öffnete die Augen und merkte erst jetzt, wie hungrig sie war. Bald danach klopfte es an die Tür, und ein Diener brachte ein mit Speisen reich beladenes Tablett herein. Isabella wurde wieder einmal klar, was für eine Perle
“
The Ostrich” war.
Am Abend las Isabella bei Kerzenlicht, während die Geräusche von der Straße an ihr Ohr drangen. Schließlich aber schlief sie trotz des Lärms von draußen und der Straßenbeleuchtung über ihrem Buch ein.
Es war dunkel, als sie aufwachte. Sie war sicher, dass irgendetwas sie gestört hatte. Sie lauschte. Jemand drehte ganz vorsichtig den Türknopf. Ein Klick war zu hören, und dann sah sie einen schmalen Lichtstrahl unter der Tür hervorscheinen. Angespannt wartete sie.
Die Tür öffnete sich weiter. Isabella tastete leise über die Bettkante, um das Nachtgeschirr zu finden. In schierer Angst um ihr Leben umklammerte sie den Rand des Porzellangefäßes. Isabella war weit gereist und wusste, was in solchen Situationen zu tun war: Wichtig war
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