Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
zu dienen. Wieso weißt du das nicht, verflucht noch mal? Frag einen Verantwortlichen. Frag das Hauptquartier in London. Frag den verdammten Wellington selbst!« Doch in dem Moment, als er es ausgesprochen hatte, wusste er, dass er sich irrte. Wellington würde ihn nicht kennen. Und auch die Husaren nicht. Er stand, am ganzen Körper zitternd, auf. »Ich verstehe das alles nicht.«
Olivia hatte die Verzweiflung in seiner Stimme gehört, sprang auf und legte die Hände auf seine Arme.
Er wandte sich ihr zu und blickte sie an. Scharfkantige Scherben schienen in seinem Kopf durcheinanderzuwirbeln. »Was ist, wenn ich etwas …«
»Du hast nichts Schlimmes getan.« Sie wirkte so aufgewühlt wie er. »Wenn du dich endlich erinnerst, wirst du es wieder wissen. Vielleicht hast du auf dem Schlachtfeld etwas beobachtet, das gefährlich für jemanden ist. Vielleicht weißt du etwas, und irgendjemand will nicht, dass du es weitererzählst, oder du bist über etwas gestolpert, das sie haben wollen.«
Er rieb sich über die Stirn und wandte sich ab. »Warum hast du nicht jemanden gefragt?«
»Wegen alldem, was wir nicht wussten. Wir konnten nicht einfach ins Hauptquartier spazieren und irgendjemanden fragen, was du in den vergangenen vier …«
Zu spät unterbrach sie sich. Jack wirbelte herum und verlor fast das Gleichgewicht. »Vier was? Tage? Wochen? Monate? Was habe ich getan? Bin ich eines Tages weggegangen und nicht wiedergekommen?«
Sie holte tief Luft und sah ihn an. »Ja.«
Er lachte. »Ach, Livvie, sei nicht albern.«
Sie zuckte unglücklich mit den Schultern. »Ich schwöre es dir, Jack. Wenn ich dir sagen könnte, wo du gewesen bist, würde ich es tun. Aber ich kann es nicht.«
Unentwegt schüttelte er den Kopf. »Das ist …«
»Absurd. Ich weiß. Seit wir dich gefunden haben, ergibt überhaupt nichts mehr einen Sinn. Wir können allerdings nicht mehr tun, als dich zu beschützen, bis du dich wieder erinnern kannst. Wir brechen bald nach London auf. Das hilft dir vielleicht.«
»Nein«, beharrte er, »das reicht nicht. Du verschweigst mir noch etwas. Etwas, von dem du weißt, dass es mich verletzen wird. Sonst hättest du keine Angst. Verdammt, Livvie, ich muss es wissen. Verstehst du das nicht?« Er kämpfte gegen den erbarmungslosen Schmerz. »Wie soll ich Ruhe finden, wenn ich weiß, dass ich etwas getan habe, das dich in Gefahr bringt? Du musst es mir sagen.«
»Nein! Es könnte dich umbringen.«
»Das ist mir egal!« Auch wenn sein Kopf sich anfühlte, als würde er zerbersten.
»Tja, mir ist es nicht egal«, erwiderte sie knapp. »Und ich werde dich nicht umbringen. Bitte, Jack, verlange das nicht von mir.«
Und ehe er widersprechen konnte, drehte sie sich um und ging.
Eine ganze Weile stand Olivia im Flur, eine Hand zur Faust geballt und auf den Mund gepresst, die Augen geschlossen. Sie versuchte, die Tränen zurückzudrängen, die ihr den Hals zuschnürten. Sie konnte so nicht weitermachen. Sie konnte es nicht einen Moment länger ertragen.
Unbewusst legte sie die Hand auf das versteckte Medaillon an ihrem Hals und dachte darüber nach, was sie schon alles ausgehalten hatte. Darüber, was sie hatte, für das es sich zu leben lohnte. Darüber, wie viel schwerer es von nun an werden würde.
Jack hatte ihr die Wahl gelassen. Sie hätte es ihm sagen können und es hinter sich gebracht. Sie hätte alles vor ihm ausbreiten und das Risiko eingehen können. Doch als es darauf angekommen war, hatte sie Jack nicht der Gefahr aussetzen können.
Das Geräusch von vertrauten Schritten ließ sie aufhorchen. »Ja, Lizzie?«, fragte sie und war sich bewusst, dass ihre Stimme zitterte und scharf klang.
»Lady Kate schickt mich, Ma’am. Mr Hilliard ist da.«
Nickend strich sie sich mit den Händen übers Gesicht, um sich die Tränen abzuwischen, und folgte dem Mädchen die Treppe hinunter.
Mr Hilliard saß bereits mit ihren Freundinnen im gelben Salon.
Als er Olivia sah, stand er vom Louis-Quinze-Sessel auf und verbeugte sich höflich. »Ich hoffe, Sie sehnen sich auch danach, den belgischen Boden von Ihren Schuhen abschütteln zu können, Mrs Grace.«
Ausnahmsweise war er nicht in Schwarz gekleidet, sondern trug einen exquisiten blauen Mantel, eine blassbraune Hose und glänzende Reitstiefel. Er sah wie ein Mann aus, der seine Cousine nur kurz besuchen wollte.
»Sie sind sehr schnell und tüchtig, Sir«, sagte sie.
Er winkte ab. »Das ist ein besonderes Talent. Kate hatte viel Spaß, als sie mich
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