Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
war: Ein Kind im Körper eines Mannes. Ein verwöhnter kleiner Junge, der nicht verstehen konnte, dass nicht immer alles nach seinen Wünschen lief.
»Guten Tag, Gervaise.«
Sein sonnenhelles Haar leuchtete im Licht, das durch die Bäume fiel, und Fältchen bildeten sich um seine Augen, als er lächelte. Er war golden. Er war atemberaubend. »Wie kommt es, dass du dich so weit aus deiner sicheren Zuflucht herausgewagt hast, Liv? Hast du keine Angst, dass ich dich schnappen und mit dir durchbrennen könnte?«
Olivia hatte im Augenblick nicht die nötige Geduld, um sich mit ihm auseinanderzusetzen. »Gott, nein. Hier gibt es viel zu viele Zeugen. Es könnte schwierig werden, den Anschein von Unschuld aufrechtzuerhalten, wenn fünfzehn Soldaten, drei Nannys und ein Geistlicher dir dabei zusehen, wie du ein Verbrechen begehst.«
Sein Lachen klang entzückt. »Kein Verbrechen – höchstens ein Verbrechen des Herzens.«
»Klischees, Gervaise? Ich bin enttäuscht.«
»Ach, Livvie«, sagte er und strich ihr mit einem Finger über die Wange. »Und du fragst dich, warum ich dich nie habe vergessen können.«
»Du hast mich nie vergessen«, entgegnete Olivia und kämpfte gegen die Kälte an, die seine Berührung durch ihren Körper sandte, »weil ich die einzige Frau war, die je Nein zu dir gesagt hat.«
»Das stimmt nicht«, erwiderte er mit einem verschwörerischen Lächeln. »Und das wissen wir beide. Wir hatten wundervolle Zeiten zusammen, Liv.«
»Offensichtlich unterscheidet sich deine Auffassung des Begriffes ›wundervoll‹ ganz entschieden von meiner.«
Einen Moment lang betrachtete er sie, als würde er versuchen, ihr Verhalten zu verstehen. »Du bist also lieber ein bezahlter Lakai.«
Sie erwiderte seinen prüfenden Blick und stellte fest, dass er überhaupt nicht beunruhigt war. Gervaise machte sich nie Sorgen. »Ja, Gervaise«, sagte sie, »ich bin lieber ein bezahlter Lakai.«
Sein Lächeln kühlte ab. »Ach, und was passiert, wenn die Leute erfahren, dass es nie einen Mr Grace gab?«
Überrascht bemerkte sie, dass sie den Drang verspürte zu lachen. »Herrgott noch mal, glaubst du, es würde mir schaden, wenn herauskommt, dass ich den Namen meiner Schwägerin benutzt habe?«
»Du hast den Namen also von Georgie? Ich habe mich schon gefragt, woher er kommt.«
Sie zuckte mit den Schultern, als würde es ihr nichts ausmachen. »Sie und James haben mich unterstützt, als ich Hilfe brauchte.«
»Warum bist du dann nicht mehr bei ihnen?«
»Ich bin auch gut allein zurechtgekommen.«
»Nicht so gut, wie du mit mir zurechtgekommen wärst.«
Müde schüttelte Olivia den Kopf. »Wieder gehen unsere Vorstellungen ein bisschen auseinander. Ich fühle mich sehr wohl dort, wo ich bin.«
Und endlich sah sie es. Es war nur ein winziges Aufflackern, denn Gervaise würde sich in aller Öffentlichkeit niemals gehenlassen. Aber der launische kleine Junge war zornig. Seine Pupillen weiteten sich. Seine Nasenflügel bebten beinahe unmerklich.
»Bitte, Livvie«, flehte er. Seine Stimme klang samtweich. »Zwing mich nicht dazu, dir wieder wehzutun. Du weißt nicht, wie sehr mich das quält.«
Olivia wusste ganz genau, wie bösartig er war. Doch mit einem Mal ließen all seine Drohungen ihn klein und unbedeutend erscheinen. Also erhob sie sich. »Wenn du jemals wieder jemandem, den ich liebe, wehtust«, sagte sie und beugte sich zu ihm vor, »egal, wem, dann werde ich dich töten.«
Er brach in Lachen aus, bis er ihr in die Augen blickte. »Sei nicht albern.«
Sie richtete sich auf und zog ihre Handschuhe zurecht. »Zweifele nicht an mir, Gervaise. Ich habe es endgültig satt.«
Und ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie davon.
Sie war beinahe an der Straße angelangt, als ihr einfiel, dass Gervaise nach Jack gesucht hatte. Er wusste möglicherweise, dass Jack in der Stadt war. Olivia blieb an der Ecke der belebten Straße stehen. Ihr Mut schwand. Sie glaubte, dass sie gut genug versteckt war – aber was war mit Jack?
Und warum hatte Gervaise ihn nicht erwähnt? Er musste doch wissen, dass Jacks Rückkehr die perfekte Drohung war.
Fast wäre sie umgekehrt. Fast hätte sie nachgesehen, was Gervaise tat. Doch sie wusste, dass er genau das erwartete. Also holte sie tief Luft, um sich zu beruhigen, ging über die Straße und nach Hause.
In der Eingangshalle begegnete sie Grace. »Ich muss mit Ihnen allen reden.«
»Später«, sagte Grace und hakte sich bei ihr unter. »Lady Kate hat Gäste, und Mrs Harper
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