Unverhofft kommt oft
bin eine brotlose Künstlerin, ich komme auch noch eine Weile länger nur mit Spaghetti und Tomatensauce aus.“
Sie drehte sich um und ging davon, zurück in den Hinterhof. Erst dachte sie, er würde ihr nachlaufen, doch er tat es nicht. Nachdem sie um die Hausecke gebogen war, lugte sie vorsichtig darum.
Julian stand noch eine Minute da, sah auf das Kuvert in seiner Hand, ging dann auf ihren Briefkasten zu und schmiss ihn hinein.
Sofia nahm das Geld heraus, sobald er weg war. Nahm es mit in den Hinterhof, legte es mitsamt dem Umschlag zwischen die Seiten ihres Buches und starrte Mrs. Rossini an, die in einer Ecke im Hof saß. Sie war so unglaublich alt, mindestens neunzig. Sicher hatte sie viele Gebrechen, beschweren tat sie sich allerdings nie. Sie sprach überhaupt kaum. Sofia wusste nicht einmal, ob sie der englischen Sprache mächtig war. Einmal hatte sie ihr von ihrer Einwanderung aus Italien erzählt – vor 48 Jahren.
Sie stand auf, ging auf die alte Frau zu und setzte sich zu ihr auf die Bank, die nur aus ein paar zusammengehämmerten Holzbrettern bestand.
„Buonasera“, sagte sie und die Alte sagte das Gleiche.
Mrs. Rossini war ihre Vorlage für das Bild der alten Frau gewesen. Irgendwie, fand Sofia, stand ihr ein Teil davon zu. Sie und Jenni würden das Geld natürlich für die Miete brauchen, es kam ganz gelegen, und doch musste diese Frau auch ihre Miete zahlen. Wer die normalerweise zahlte, wusste Sofia nicht. Vielleicht einer ihrer Söhne, die ab und zu vorbeikamen? Das Sozialamt? Ihr Mann war vor langer Zeit gestorben.
Sie nahm die Hälfte des Geldes – 280 Dollar – aus dem Umschlag heraus und reichte es ihr. Mrs. Rossini sah auf, ohne jeden Ausdruck im Gesicht. Selbst wenn sie Freude oder Überraschung gezeigt hätte, hätte man diese aufgrund der vielen Falten kaum erkannt.
„Nehmen Sie“, sagte Sofia. Und die Alte nahm es entgegen.
12. Kapitel
Es war Montag. Zum ersten Mal seit fünf Wochen musste sie nicht in der Bäckerei erscheinen. Sie konnte ausschlafen, im Viertel spazieren gehen, nachdenken.
Das war neu. Sonst hatte sie immer ohne jeden Gedanken an die Zukunft ihre Tage verbracht, jetzt, da sie aber gezwungen gewesen war, hart zu arbeiten, verstand sie langsam, dass das Leben mehr zu bieten hatte. Wenn man es wirklich wollte, konnte man alles erreichen. Ihre Eltern hätten vor 25 Jahren, als sie nach Amerika kamen, auch nicht im Traum daran gedacht, einmal ein so erfolgreiches Geschäft zu führen, das in der ganzen Stadt bekannt war.
Nur was sollte Sofia mit ihrem Leben anfangen?
Am Dienstag erhielt sie einen Anruf. Eine Dame stellte sich als Mrs. Winterbury vor. Sie sagte, sie sei vor Kurzem mit ihrer Bekannten in einer Galerie gewesen und eben diese Bekannte habe ihr ein Bild vor der Nase weggeschnappt. Das Mädchen mit den Zöpfen. Sie habe ihren Namen und ihre Nummer vom Inhaber, Mr. Limes, erfahren und nun würde sie gern wissen, ob Sofia auch für Privataufträge zu buchen war?
Immer gern, sagte Sofia. Doch ihre Portraits würden bei 500 Dollar anfangen. Sie wollte es einfach versuchen. Wenn die Leute in der Galerie bereit waren, so viel für ihre Werke hinzublättern, warum dann bei einem privaten Auftrag nicht auch?
„Über den Preis werden wir uns schon einigen“, sagte die Dame. „Wann hätten Sie denn Zeit für mich? Ich habe insgesamt fünf Enkelkinder, die ich alle gern portraitieren lassen möchte, um sie in meinem Sommerhaus in Malibu aufzuhängen.“
Malibu? Wow, die Dame schien Geld zu haben. Und schon hatte sie kein schlechtes Gewissen mehr, so viel verlangt zu haben.
„Ich stehe zu Ihren Diensten. Wie wäre es am Samstag?“
Mrs. Winterbury gab ihr ihre Adresse in den Pacific Heights. Gleich neben dem Haus von Danielle Steel, sagte sie ihr. Oh wow , dachte Sofia nur und musste sich setzen.
♥
Am Samstag tanzte Sofia wie verabredet im Haus der Winterburys an und zeichnete die ersten beiden der fünf Enkel. Am Samstag darauf die anderen drei. Mrs. Winterbury war eine freundliche Dame Anfang sechzig, jedoch streng den Kindern gegenüber, wenn sie herum hampelten statt still zu sitzen. Sofia versuchte, es nicht zu lange hinauszuzögern, damit die Kinder schnell wieder in den Garten gehen und spielen konnten. Sie waren zwischen zwei und zehn Jahren, ein kleiner Terrier hüpfte und kläffte die ganze Zeit an ihrem Bein herum, sodass Mrs. Winterbury ihn mehrmals verscheuchen musste, und im Anschluss wurde Sofia sogar noch zum Tee
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