Unverkäuflich!
ich ihm meinen Entschluss mitteilte, zum 1. FC Nürnberg zu wechseln. Es war, wenn ich zurückschaue, keine kluge Entscheidung. Andererseits zeigt sie, wie ich ticke: Ich mag keine halben Sachen, und es reicht für mich nicht aus, von vorneherein den zweiten Platz zu akzeptieren. Mir ging es darum, mir selbst treu zu bleiben, ohne Rücksicht auf finanzielle Nachteile. Mein Nachfolger sollte zwölf Jahre die Rolle des Ersatztorhüters übernehmen. Ich wäre vermutlich nach zweieinhalb Jahren durchgedreht. Der 1. FC Nürnberg spielte in derselben Klasse wie die Bayern, aber in einer ganz anderen Liga, wie ich gleich nach meiner Ankunft feststellte, was die Organisation des Alltags betraf: Kleinigkeiten wie die Ordnung in der Kabine oder die Wahl des Fuhrparks. Aber all das war mir egal: Ich wollte mich beweisen, deshalb war ich hier. Ich fuhr zum Training. Mein Konkurrent um das Trikot mit der Eins war ein gewisser Andreas Köpke, und nach fünf Minuten war mir klar: Das wird nichts mit dem Stammplatz. Ich hatte keine Chance. Köpke war schneller, explosiver, ruhiger, alles, was er tat, sah mühelos aus. Er wurde später Nationalkeeper, Europameister und Welttorhüter, er war einer der besten Torwarte, die jemals auf einem Fußballfeld standen. Ich erzählte Ann-Kathrin abends, dass wir bald wieder umziehen müssten, und so kam es auch. Ich kündigte. Die nächste Station hieß KRC Genk, Belgien. Ich hatte mich überschätzt. Weil mich Bayern eingedeutscht hatte, galt ich in Belgien als Ausländer, und auch im neuen Verein lief es nicht besonders. Es war ein verlorenes Jahr. Wir zogen wieder zurück nach München, in ein Wohngebiet am Stadtrand, und ich heuerte bei 1860 München an. Ich bewundere meine Frau Ann-Kathrin für ihre unendliche Geduld und Toleranz, all diese Wechsel und Veränderungen mitgetragen zu haben. Ganz egal, was geschah: Sie war bedingungslos loyal, sie hielt mir den Rücken frei. Wir waren eine kleine Familie, unsere älteste Tochter Carolin gerade geboren. Bei Heimspielen sah ich die beiden, dick in Decken eingehüllt, auf der Tribüne. »Warst du gut heute?«, fragte mich Ann-Kathrin nach den Spielen.
Meistens konnte ich das bejahen, wir gewannen Spiel um Spiel und ich rettete oft den Sieg. Alles lief wunderbar bis zu einer Auswärtspartie in Memmingen, einem kalten, dunstigen Wintertag auf einem matschigen Platz, Flutlicht. Wir führten kurz vor Schluss mit einem Tor, ein Eckstoß flog in den Strafraum. Ich sprang hoch, boxte den Ball weg.
Alles wurde schwarz.
Als ich wieder zu mir kam, sah ich in besorgte, entsetzte Gesichter. Mein Gesicht fühlte sich taub an, aber ich wollte weiterspielen. Dann bemerkte ich Blut auf meinem Trikot, aber nur mit einem Auge, denn mit dem linken sah ich wenig. Sanitäter legten mich auf eine Trage. In einem Krankenwagen fuhr man mich unter Blaulicht in ein Münchner Krankenhaus, doch helfen konnte man mir dort nicht. In meiner linken Gesichtshälfte war nichts mehr, wo es sein sollte: Jochbein zertrümmert, Augenbogen gebrochen, das Auge verschoben. Ich musste von Spezialisten operiert werden, in einer Klinik für Gesichtschirurgie. Ob mein Augenlicht gerettet werden konnte, fragte ich den Arzt, doch der wollte keine Antwort geben. Zuerst musste die Schwellung abklingen. Die Operation verlief gut. Ich würde sehen können, und ob bleibende Schäden im Gesicht zurückblieben, hing von der Wundheilung ab. Ich verbrachte die nächsten Tage im Krankenbett; die Schmerzen beschäftigten mich nicht sonderlich, mir tat etwas anderes weh. Niemand von 1860 München kam vorbei, um sich nach meiner Gesundheit zu erkundigen. In meinem Gesicht hatte man so viel Metall eingesetzt, dass ich am Karneval als »Terminator« hätte auftreten können, ohne mich zu verkleiden. Meine schwere Verletzung war ein Thema in allen Sportteilen. Wieso meldete sich kein Offizieller? Als ich kurz darauf eine Zeitung in die Hände bekam, wusste ich den Grund: Löwen verpflichten neuen Torwart! , lautete die Überschrift. Im Artikel stand, dass man wegen der Schwere der Verletzung schnell reagieren wolle, um die Aufstiegschancen nicht zu gefährden.
Ich war aussortiert worden wie ein alter Schuh.
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Der Bänderriss im Fuß (großes Foto) ist nicht weiter schlimm, doch der Trümmerbruch im Gesicht verändert Dekeysers Leben. Noch im Krankenbett beschließt er, Unternehmer zu werden.
Klagen bringt einen nicht weiter, in keiner Lebenslage, Jammern ändert nichts. Man muss selbst anpacken,
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