Unverkäuflich!
mehr lange, dann würde die Firma am Ende sein.
Mich belastete dieses Wissen. Ich schlief schlecht, ich war rastlos, ging stundenlang spazieren und paddelte über den See, um zu überlegen, was ich dagegen tun konnte. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Nicht so sehr der Gedanke an das »Lebenswerk« oder ähnliche Gefühlsduselei, das war mir egal, das sehe ich unsentimental. Ich fragte mich, was aus den Mitarbeitern werden würde, in Europa, vor allem auf den Philippinen. Jeder Arbeiter dort versorgt mit seinem Lohn im Schnitt zehn Familienangehörige. Ich fragte mich, wie das alles mit der Arbeit an unserer Stiftung vereinbar war. Konnte ich weitermachen, jungen Leuten mit ihren Träumen zu helfen – und dabei zusehen, wie die eigene Firma unterging und Mitarbeiter finanzielle Probleme bekamen? Moralisch hielt ich das für fragwürdig. Ich überlegte, eine Art Ausgleichsfonds einzurichten, der jedem eine Abfindung garantierte, mit der er in ein neues Leben starten konnte. An manchen Tagen beschwor ich mich hingegen, sämtliche Rettungsgedanken zu verdrängen: Endlich war ich am Ziel, endlich fühlte ich mich frei, nach den Jahren der Schufterei, und nun wollte ich mich wieder engagieren? War ich bescheuert? So drehte sich mein Gedankenkarussell, Tag für Tag, und die Zeit wurde knapp. Ich wurde immer unzufriedener. Eines Abends – ich kam vom See und hatte eine Entscheidung getroffen – ging ich zu Ann-Kathrin in die Küche. »Ich will versuchen, die Firma zurückzukaufen. Ich denke, ich kann nicht anders«, sagte ich. »Was hältst du davon?«
Ich wusste, dass sie von der Idee wenig begeistert sein würde. Wir würden nicht bei null anfangen, sondern gleich wieder einen Schuldenberg abtragen müssen, viele Millionen Euro. Mit dem Frieden am See würde es vorbei sein. Geschäftsreisen würden anstehen, unzählige Meetings, Empfänge, Interviews, das Spiel, aus dem wir erschöpft ausgestiegen waren, würde von vorne losgehen, mit neuen, gemischten Karten. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn sie dagegen gewesen wäre. Womöglich hätte ich die Finger von der Rettungsaktion gelassen. Ann-Kathrin sah mich an und erwiderte zunächst nichts. Dann sagte sie: »Du weißt schon, was du tust.«
Es klang beinahe beiläufig und nicht wie die Antwort auf eine Frage, die unserem Leben eine ganz andere Richtung geben würde. Einen Menschen zu finden, der so loyal ist, so bedingungslos zu einem steht, der auch eine Entscheidung mitgeht, ohne ganz davon überzeugt zu sein, im Vertrauen auf den anderen, betrachte ich als eines der größten Geschenke. Ich gab ihr einen Kuss und ging nach oben ins Büro, um zu telefonieren. Am nächsten Morgen flog ich nach London. Mein Angebot sah vor, die veräußerten Anteile samt Schulden zurückzukaufen. Zwei Wochen Bedenkzeit wurden verabredet, aber mir war eigentlich klar, dass die Fondsmanager einwilligen würden. Es war die letzte Chance für Dedon, und vermutlich auch die letzte Chance, mit den Anteilen eines taumelnden Unternehmens Geld zu verdienen. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder ob ich traurig sein sollte. Als ich die Unterschrift unter den Vertrag setzte, zögerte ich einen kurzen Moment. Ich fühlte mich auch ein wenig deprimiert, als ich hinterher durch die Straßen von London spazierte und mich auf eine Bank an der Themse setzte. Mein Traum war vorbei. Ich hatte getan, was getan werden musste, aber war ich zufrieden? Ich konnte nicht anders, ich musste es tun, weil mein Herz es mir sagte, aber ein anderer Teil in mir sträubte sich dagegen. Dieses Dilemma war nicht zu lösen, und weil mir klar war, dass ich mit der Entscheidung gegen den Rückkauf keinen Frieden finden würde, hatte ich es getan. Ann-Kathrin bat mich darum, dass wir nach Hamburg gingen, wohin meine Schwester Sonja nach ihrem Ausstieg aus der Firma umgezogen war. Uns war klar, dass ich wieder viel Zeit in Flugzeugen und in Konferenzräumen verbringen würde, und sie suchte den Anschluss an die Familie. Es war ihr wichtig. Die Aussicht, Genf zu verlassen und damit unser Haus am See, gefiel mir überhaupt nicht, doch ich willigte ein. Ann-Kathrin war mir immer gefolgt, überallhin, sie hatte jede Entscheidung unterstützt, und nun folgte ich ihr. Alles wieder auf Start.
—
Die Nachricht verbreitete sich innerhalb weniger Stunden durch unsere Büros von Los Angeles bis Cebu. Es galt nun, die Ängste der Mitarbeiter wegzuräumen und eine Depression, die schwer und grau über der Firma
Weitere Kostenlose Bücher