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Unwiderstehlich untot

Unwiderstehlich untot

Titel: Unwiderstehlich untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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Moment für mich, Jonas?«, fragte Pritkin mit einer gewissen Schärfe in der Stimme. »Ich glaube, ich habe irgendwo ein Foto Ihrer Mutter«, sagte Marsden und eilte fort.
    Ich nahm die Zeitung und zerriss sie langsam und systematisch. Es half nicht. Teile von Sätzen riefen zu mir empor: berüchtigt, dunkel, gefährlich. In einer plötzlichen Aufwallung von Zorn wischte ich alles vom Tisch.
    »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«, fuhr ich Pritkin an. »Ich habe dir die Zeitung gezeigt…«
    »Ich rede nicht von heute! Wir kennen uns länger als einen Monat.« Ich musste mich sehr beherrschen, nicht zu schreien. »Ich gebe zu, es war ein ziemlich ereignisreicher Monat, aber hättest du nicht irgendwann fünf Minuten Zeit finden können, mir Bescheid zu sagen?«
    »Ich dachte, du wüsstest Bescheid«, erwiderte er ruhig. »Deine Eltern oder deine Kindheit hast du nie erwähnt. Ich dachte, das sei der Grund dafür. Und du hast mir erst vor kurzer Zeit gesagt, du hättest Grund, dich für deinen Vater zu schämen, wegen all der Dinge, die er getan hat…«
    »Als einer von Tonys Schergen! Nicht als… als…« Ich konnte die Worte nicht einmal denken. Alle sprachen so über den Schwarzen Kreis, als wäre er das Zentrum des Bösen. Ich hatte gesehen, wie Vampire bei seiner Erwähnung schauderten. Typen, die völlig ohne Skrupel töteten, für Geld, aus Stolz, oder einfach aus Spaß – sie hielten die Organisation, zu deren Anführern mein Vater gehört hatte, für verrucht.
    Kein Wunder, dass die Kriegsmagier, denen ich begegnete, mich anstarrten, als wüchsen mir gleich Tentakel oder als könnte ich anfangen, Feuer zu spucken.
    »He, Cass…« Billy schwebte auf mich zu und wirkte sehr ernst. »Der Magier hat recht – vielleicht ist es übertrieben. Du weißt ja, was von dieser Zeitung zu halten ist…«
    Er streckte die Hand nach mir aus, und ich zuckte zurück und starrte ihn an. Mein ganzes Leben lang war ich imstande gewesen, Geister zu sehen, ohne groß darüber nachzudenken. Es war mir auch nicht in den Sinn gekommen, sie mit dem Auftrag loszuschicken, Informationen für mich zu sammeln… Dieser Gedanke schnitt wie ein Messer, das sich auch noch in der Wunde drehte.
    »He! Ich bin’s«, sagte Billy und nahm meine Hand. Seine Berührung war leicht wie der Kuss des Windes, weich wie eine Wolke und beruhigend vertraut. »Dein treuer Kumpel, erinnerst du dich?«
    Und mein aus einem Soldaten bestehendes Heer, dachte ich elend.
    Alles war so schnell gegangen. Noch vor einem Monat war ich eine ahnungslose Hellseherin gewesen, die versucht hatte, Tonys Zorn zu entgehen, und die sich überhaupt nichts dabei gedacht hatte, durch die Zeit zu springen, die Geschichte zu verändern, in die Körper anderer Leute zu schlüpfen… Hatte es so angefangen? Mit dem Versuch, am Leben zu bleiben und jeden einzelnen Tag zu überstehen, ohne zu merken, wie viel man veränderte, bis man sich eines Tages selbst nicht wiedererkannte?
    Bis man eines Tages als Ungeheuer erwachte?

22
    Ich endete im Garten auf einer Bank – wie, weiß ich nicht genau –, mit einem Foto meiner Mutter in der einen Hand und einem Becher mit kalt werdendem Tee in der anderen. Es war sehr unbritisch von ihm, aber Marsden verwendete keine Teetassen. Er bevorzugte fast kruggroße Becher, die eine halbe Kanne aufnehmen konnten, außerdem auch noch eine gehörige Portion Milch und einen gehäuften Teelöffel Zucker.
    Ich starrte benommen auf das Foto, und es dauerte eine Weile, bis ich den Blick auf das richtige Gesicht konzentrierte. Und selbst dann gab es nicht viel zu sehen. Das Bild war bei der Zeremonie entstanden, die meine Mutter zur offiziellen Erbin von Agnes gemacht hatte. Es ließ sich nicht feststellen, ob wir uns ähnlich sahen, denn es handelte sich um eine Weitwinkelaufnahme, die sie zusammen mit anderen jungen Frauen und einigen Männern zeigte, die ich für Kriegsmagier hielt.
    Sie war groß – was mich überraschte – und hatte glattes dunkles Haar, keine rotblonden Locken. Sie trug ein hochgeschlossenes Kleid mit langen Ärmeln und lächelte nicht. Ich strich mit den Fingern über das Bild, und ein Gefühl des Verlusts erfasste mich. Meine Hand prickelte dort, wo sie das Bild berührte. Eine Seherin sollte ich sein, aber ich sah sie nicht. Ich hatte sie nie gesehen, bis auf den Moment ihres Todes.
    Im Haus schrie Pritkin Marsden wegen irgendetwas an, aber die Mauern waren dick, und ich konnte keine Worte verstehen. Außerdem saß ich

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