Unwiderstehlich untot
mitgehört und geglaubt, dass er ihnen nicht trauen konnte? Mir drehte sich der Magen um, als ich daran dachte, welcher Schluss sich daraus ziehen ließ: War ich letztendlich schuld daran, dass sich Rafe in einem so schrecklichen Zustand befand?
Er sah zu uns hoch und versuchte, etwas zu sagen, aber seine Lippen waren so angeschwollen, dass ich ihn nicht verstand. »Ich glaube, er möchte seine Sonnenbrille«, übersetzte Marco. »Wissen Sie, wie sie aussieht?«
»Es ist eine Gucci«, flüsterte ich.
Marco fand sie auf einem nahen Tisch und versuchte, sie Rafe aufzusetzen, ohne ihm Schmerzen zuzufügen. Aber das war schlicht und einfach unmöglich. Als die Brille sein rohes Fleisch berührte, zuckte Rafe zusammen und zischte, und Marco zog sie sofort zurück. Ich schätzte, das erklärte, warum Rafe kein Patientenhemd trug und warum ihn niemand zugedeckt hatte. Jede Berührung müsste höllisch für ihn sein.
Marco suchte noch immer nach einer Lösung für das Brillenproblem, als ich ein leises Ächzen hörte und mich umdrehte. Sal stand da und starrte auf Rafe hinab, mit Flecken in ihrem blassen Gesicht. Tränen rollten ihr über die Wangen, was ihr völlig gleich zu sein schien. Sie hob nur den einen Arm und wischte sie fort, ohne den Blick vom Bett abzuwenden. Nie zuvor in meinem Leben war ich jemandem so dankbar gewesen, denn Sal weinte – Sal –, und deshalb brauchte ich nicht zu weinen.
»Es heißt, dass er… nicht bewegt werden sollte« , sagte Alphonse zu ihr. Die unausgesprochenen Worte Weil er es nicht überleben würde hingen zwischen uns in der Luft.
»So ein Unsinn!« Kobraschnell wandte sich Sal einem vorbeikommenden Krankenpfleger zu und hielt ihn fest. »Warum hilft ihm niemand?«
»W-weil wir ihm nicht weiter helfen können«, antwortete der Vampir. Er sah jung aus, was überhaupt nichts bedeutete, aber seine Ausstrahlung war recht schwach. Und er verstand es nicht besonders gut, seinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu halten. Er sah auf Rafe hinab und schnitt eine Grimasse. »Wir haben die Heiler geholt, aber sie meinten, der angerichtete Schaden sei zu groß und nur sein Meister könnte vielleicht…«
»Sein Meister versteckt seinen feigen Arsch im Feenland!«, knurrte Sal, und blutrote Krallen bohrten sich in den Arm des Krankenpflegers. »Lass dir eine andere Möglichkeit einfallen!«
»Es gibt keine«, erwiderte der Vampir, und beginnende Panik flackerte in seinen Augen. »B-bitte… ich gehöre zu Lady Alkyone. Wenn ich Ihren Unwillen erregt haben sollte…«
Sal gab ihn mit einem verärgerten Schnaufen frei, und er machte sich sofort auf und davon. Nach Sals Miene zu urteilen, konnte er froh sein, dass seine Lady und Beschützerin Senatsmitglied war. Aber er hatte recht. Vampire heilten sich entweder selbst oder gar nicht, und deshalb besorgte es mich so sehr, dass sich Rafe noch nicht in eine Heiltrance zurückgezogen hatte. Oder vielleicht hatte er bereits eine Heiltrance hinter sich, eine vergebliche. Tief in mir krampfte sich etwas zusammen.
Ich sah auf ihn herab und erinnerte mich daran, wie still er auf dem Rückweg gewesen und wie er im Foyer verschwunden war. Mir hätte sofort klar sein müssen, dass es ein Problem mit ihm gab, spätestens aber, als ich unter der Dusche gestanden hatte – meine Nasenspitze und die Haut über den hohen Wangenknochen war so verbrannt gewesen, das sie unter dem herabströmenden Wasser wehgetan hatte. Wieso hatte ich nicht einen einzigen Gedanken daran vergeudet, dass Raffael eventuell viel schlimmer dran war? Auch wenn sie sich Sonnencreme mit einem Lichtschutzfaktor ins Gesicht schmierten, der sogar vor Radioaktivität schützte – Vampire unter der ersten Stufe sollten nie direktem Sonnenlicht ausgesetzt sein. Das wussten alle, selbst Leute, die nicht an einem Vampirhof aufgewachsen waren. Wieso also hatte ich nicht daran gedacht? Wie hatte ich schlafen gehen und dies zulassen können?
»Bitte, Rafe«, flehte ich mit vibrierender Stimme. »Bitte…«
Sal hatte sich jemand anders geschnappt, eine Heilerin des Kreises, vermutete ich, und zerrte sie zum Bett. Sie hatte lockiges schwarzes Haar und ein gleichmäßig gebräuntes, recht hübsches Gesicht. Trotzdem brachte sie es fertig, unattraktiv zu sein. »Lassen Sie mich sofort los!«, verlangte die Frau. »Was für eine Unverschämtheit!«
»Offenbar haben wir verschiedene Vorstellungen davon, was eine Unverschämtheit ist«, sagte Sal. »Helfen Sie meinem Freund hier, oder ich
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