Unwiderstehlich untot
Das Gesicht, von der trockenen Hitze in Leder verwandelt, starrte zu mir hoch. Einige Haarbüschel ragten unter der Baseballmütze hervor, und der Mund war wie zu einem Schreigeöffnet.
Ich wankte weiter, aber wohin ich mich auch wandte, es war überall die gleiche Geschichte: Weitere grabähnliche Wagen brieten in der Sonne. Daher kamen die Knochen, dachte ich. Aus den Wagen, die nicht geschlossen geblieben waren. Ich stellte mir vor, wie sich Tiere hier über eine reich gedeckte Tafel gefreut hatten…
Ich ging in die Hocke, die eine Hand an einer Stoßstange und den Kopfzwischen den Beinen. Für einen langen Moment dachte ich, mich übergeben zu müssen. Aber nichts geschah, abgesehen davon, dass der Schwindel vorüberging und sich das Bild vor meinen Augen wieder klärte – ich starrte auf ein Nummernschild.
ich atmete schneller, und das Herz schlug mir plötzlich bis zum Hals. Rasch versuchte ich, den Schmutz wegzustreichen, aber er klebte so fest an dem Schild, dass ich ihn mit den Fingernägeln fortkratzen musste. Schließlich legte ich die Stelle mit dem Jahresaufkleber frei. Und dann starrte ich nur noch, und die Farben verschmolzen miteinander – roter Aufkleber, gelber Staub, blauer Himmel.
Die Angabe auf dem Nummernschild entsprach diesem Jahr.
Die Vision verließ mich so schnell, wie sie gekommen war, und ich taumelte, von weiß glühender Panik erfasst. Hände ergriffen mich an den Schultern, und ich konnte sie nicht von mir lösen. Ich hörte Stimmen, verstand sie aber nicht, weil sich Hysterie in mir ausbreitete. Bis eine neue Stimme meinen Namen nannte – das eine Wort strich golden über mich hinweg wie eine Segnung.
»Es ist alles Ordnung, Cassie«, sagte Mircea leise und wiederholte es immer wieder, während er mir über den Rücken und übers Haar strich. Und ich wollte ihm sagen, dass eben nicht alles in Ordnung war und es auch nicht sein würde. Denn meine Macht bestand darauf, mir Albträume zu zeigen, statt die Antworten, die ich so dringend brauchte. Ich verstand einfach nicht, was sie mir mitzuteilen versuchte. Denn Rafe starb, und ich konnte nichts dagegen tun.
»Aber es gibt etwas, das ich tun kann, Dulceatjä«, sagte Mircea, der zumindest zu ahnen schien, was in mir vorging. »Oder zumindest etwas, das ich versuchen kann. Ich bin bald wieder bei dir.«
»Bald? Was hast du…« Ich öffnete die Augen und stellte fest, dass ich halb auf Alphonses Schoß lag. Er hielt mich an den Handgelenken, während Sal und Marco auf mich herab starrten. Mircea war nirgends zu sehen.
Bevor ich etwas sagen konnte, kam es draußen zu Unruhe. Die Tür sprang auf, und zwei große Vampire in dunklen Anzügen kamen herein. »Jetzt reicht’s!«, rief die Heilerin. »Es gibt hier klare Besuchsregeln!«
Die Vampire achteten nicht auf sie, sahen sich wachsam um und warfen argwöhnische Blick auf die Patienten rechts und links von Rafe, zogen dann zwei große weiße Wandschirme zu seinem Feldbett. Niemand hatte sie benutzt, aber selbst wenn das der Fall gewesen wäre, die beiden Vampire hätten bestimmt keine Rücksicht darauf genommen.
»Der Platz hier ist begrenzt, und Sie versperren den Weg«, sagte die Heilerin. »Nur zwei dürfen bleiben; die anderen müssen gehen.«
»Klar«, sagte Marco, was so viel bedeutete wie Wenn die Hölle zufriert. Sal und Alphonse antworteten überhaupt nicht. Sie sahen zum Haupteingang, mit der Aufmerksamkeit von Jagdhunden, die Beute witterten.
Die Vampire umgaben Rafes Bett mit den Wandschirmen und ließen nur den der Tür zugewandten Bereich frei. Dann bezogen sie zu beiden Seiten dieses offenen Bereichs Aufstellung, und einer hob sein Handgelenk vor den Mund. »Alles klar.«
»Sie können hier nicht einfach so reinplatzen«, ereiferte sich die Heilerin. »Ich gebe der Sicherheit Bescheid…« Sie drehte sich um, als die Tür erneut aufschwang.
Mircea kam herein.
Er sah durch den Raum und schien mit einem schnellen Blick alles in sich aufzunehmen: die Feldbettreihen; die umher eilenden Krankenwärter, die versuchten, nicht zu auffällig zu starren; das Bett mit dem von Salbe fleckigen Laken; und schließlich Rafe.
Mircea betrachtete ihn einige Sekunden und wandte sich dann an die plötzlich sprachlose Heilerin. »Danke, dass Sie sich so gut um ihn gekümmert haben«, sagte. »Ich werde es nicht vergessen.«
Ironie lag schwer in seinen Worten, aber sie merkte nichts davon. »Was… was… wir getan haben, war nicht der Rede wert. Wir haben es gern getan, ich
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