Unwiderstehliches Verlangen
Jackie und dann auf William und kicherten. Er war fast einen Kopf größer als sie und weit stämmiger, und niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn »Klein-Billy« zu nennen.
William nickte den Männern kurz zu und ordnete an: »Sie können eine Pause machen.« Dann zog er Jackie am Arm die Straße entlang. Eine Steppenhexe kreuzte ihren Weg. Stumm führte er sie in ein Haus, das früher einmal einer von Eternitys Saloons gewesen war. Drinnen standen ein halbes Dutzend zerbrochene Stühle und einige schmutzige Tische. Mit festem Griff zwang er sie, auf dem einzigen Stuhl Platz zu nehmen, der noch alle vier Beine hatte. »Nun, Jackie...«
Sie fuhr hoch wie ein Schachtelteufel. »Du brauchst mir gar nichts zu erklären. Es war alles ein großes Mißverständnis, weiter gibt es nichts dazu zu sagen. Und jetzt möchte ich, daß du deine Sachen aus meinem Haus entfernen läßt...« Sie hielt inne.
»Oh, ich vergaß, das Hotel gehört ja jetzt dir. Also werde ich ausziehen.«
Dabei krampfte sich ihr Herz zusammen. Sie hatte die beiden unteren Stockwerke des Hotels auf 99 Jahre gemietet und geplant, pro Jahr ein weiteres Stockwerk zu mieten, bis sie das ganze Haus in Besitz nehmen konnte. Als sie Jace Montgomery anfangs vorgeschlagen hatte, das Hotel von ihm zu mieten, hatte er mehr verlangt, als sie sich leisten konnte. Da hatte sie ihn gefragt, wieviel die Miete für ein Stockwerk betragen würde. Er verbiß sich das Lachen und teilte die Gesamtmiete durch fünf. Jackie bat ihn um einen Rabatt, wenn sie zwei Stockwerke mietete. Er gewährte ihr zehn Prozent, was ihr ermöglichte, beide Stockwerke zu mieten. Nach einem halben Jahr hatte sie das darüberliegende Stockwerk (mit zwölfeinhalb Prozent Rabatt) hinzugemietet. Nur auf die Sicherheit ihres auf 99 Jahre lautenden Vertrags hin hatte sie so viel Geld für die Einrichtung ausgegeben. Und nun sollte sie ihr hübsches Haus schon wieder aufgeben!
»Ich ziehe sofort aus.«
William stellte sich vor die Tür. »Was ist denn nur mit dir los?« fragte er. »Du tust, als hätten wir eine Liebesaffäre gehabt und ich hätte dich sitzenlassen. Wir haben aber nur vereinbart, gemeinsam eine Firma zu gründen. Mehr war doch nie zwischen uns gewesen, oder? War doch etwas, von dem ich nichts weiß?«
Wenn dieser Tag doch erst überstanden wäre! dachte Jackie. Selbstverständlich hatte er recht, und sie benahm sich wie ein Idiot. Zwischen ihnen war nichts gewesen. Sie hatte sich nur Flausen in den Kopf gesetzt. Er hatte schon in jener Nacht gewußt, wer sie war. Daß sie alt genug war, um seine... nun, seine ältere Schwester zu sein. Er hatte gewußt, daß sie früher bei ihm den Babysitter gespielt hatte.
Was wiederum bedeutete, daß sie sich etwas zu viel eingebildet hatte. Ihre Gefühle waren nie erwidert worden. Zwar hatte er sie geküßt. Aber ehrlich gesagt , es war kein besonders feuriger Kuß gewesen. Na ja, in der Nacht hatte sie ihn wohl für einen leidenschaftlichen Kuß gehalten, aber nachträglich mußte sie zugeben, daß es kaum mehr als ein Freundschaftskuß war. Und ihre Gespräche? Bei Licht betrachtet, waren es ganz normale Gespräche gewesen. Da er sie unbedingt wachhalten mußte, konnte er ihr schließlich keine langweiligen Fragen stellen, etwa die nach ihrem Lehrer in der zweiten Grundschulklasse.
»Warum siehst du mich so an?« fragte er sie.
Sie dachte gerade, wie es wäre, wenn sie beide in dieser abgelegenen Geisterstadt unter einem Dach leben würden. Es wäre ihr zwar recht gewesen, wenn das die bigotten Seelen in Chandler veranlaßt hätte, vor Empörung die Wände hochzugehen, aber in Wirklichkeit würden sie darin nur ein Lehrerin-und-Schüler-Verhältnis sehen und überhaupt keinen Anstoß nehmen. Jackie war sicher, daß William die Dinge genauso sah. Jackie war sein Mentor, seine Heldin, seine Erzieherin. Sie hatte ihm gezeigt, wie man Käfer fängt, wie man an einem Seil hangelt, wie man es schafft, eine volle Minute lang die Luft anzuhalten. Nein, von Williams Seite wären gar keine Probleme zu befürchten.
Das Problem lag bei ihr selbst. Wenn sie diesen großartigen Mann anschaute, dann konnte sie in ihm einfach keinen kleinen Jungen sehen, mit dem verglichen sie eine alte Frau war. Wenn man sich wie achtzehn fühlt, denkt man nicht daran, daß man tatsächlich keine achtzehn mehr ist. Allerdings kann der Blick auf das allmählich alternde Gesicht im Spiegel wie ein Schock wirken. Niemals mehr würde ein Mann zu ihr sagen: »Wenn du
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