Unwiderstehliches Verlangen
er sich an sie klammerte und den Kopf an ihre Schulter und das Gesicht an ihren Hals legte. Er hatte es offensichtlich auf Körperkontakt abgesehen, und sie befahl ihm, damit aufzuhören. Aber weder ihre Stimme noch ihre Gesten waren sehr überzeugend.
Wenn Jackie ehrlich zu sich war, so gefiel ihr diese Rumalberei sogar. Als Kind und als junge Frau hatte sie nie Zeit dafür gehabt. William hatte schon recht, als er sagte, sie habe immer nur das getan, was sie wollte. Damals wollte sie eben erwachsen und unabhängig sein. Mit zehn hatte sie sich gewünscht, sie wäre eine alte Frau. Einmal hatte ihre Mutter sie fassungslos gefragt: »Jackie, willst du dich denn nie wie ein Kind benehmen?«
Konnte ein Menschenleben den umgekehrten Verlauf nehmen? Konnte man, während man körperlich älter wurde, geistig immer jünger werden? Als sie in der High-School war, wollten alle Kinder dauernd spielen und sich auf lustige Art die Zeit vertreiben. Jackie hatte nur Verachtung für sie übrig gehabt. Sie dachte ausschließlich an ihre Zukunft, an das, was sie einmal erreichen wollte, wie sie aus dieser verschlafenen Kleinstadt fliehen und etwas aus ihrem Leben machen würde. Wenn man andere Mädchen ihres Alters fragte, was sie später tun würden, dann gaben sie zur Antwort: »Ich werde Bobby heiraten und ihm die beste Ehefrau werden, die es gibt.« Damals hatte Jackie diese Mädchen hochmütig ausgelacht. In der Erinnerung schämte sie sich jetzt dafür.
Sie hatte nie einfach nur gespielt und rumgealbert. Sie war nie von Charley umworben worden. Ihre Flitterwochen hatten sie ausschließlich im Flugzeug verbracht. Er war zwar ihr Ehemann, aber eigentlich in der Hauptsache ihr Fluglehrer. Damals hatte ihr das großartig gefallen, sie war froh darüber gewesen. Aber jetzt wollte sie auch einmal ausruhen, einmal... den Duft der Rosen einatmen.
Und William verstand es, sie zum Lachen zu bringen. Er neckte sie, wo er nur konnte, er jagte sie um die Bäume, und am späten Nachmittag breitete er an einem sonnigen Plätzchen eine Decke auf dem warmen Felsgestein am Rand einer Klippe aus, und sie setzten sich und genossen die eindrucksvolle Aussicht. Dann holte er aus dem Korb alles, was zu einem zünftigen Picknick gehörte: Wein, Brot, kaltes Hühnchen, Käse, Pastetchen in Blumenform, Oliven, Senf, aufgeschnittene Tomaten und kalte Limonade — ein Festmahl.
Jackie lehnte sich gegen einen sonnenwarmen Felsen und ließ sich wiederum bedienen.
Er goß ihr ein Glas Rotwein ein und sagte: »Du hast den ganzen Tag über scharf nachgedacht.«
»Es geht dich gar nichts an, was in meinem Kopf vorgeht.«
Er wartete einige Sekunden ab. Dann fragte er: »Willst du mir nicht sagen, was dich so beschäftigt?«
Gar nichts wollte sie ihm sagen. Im Hinterkopf nistete ja bei ihr weiterhin der Gedanke, daß ihre Beziehung bald beendet sein würde. Da war es nicht gut, sie jetzt noch enger zu knüpfen. Tatsächlich waren sie sich schon recht nahe gekommen. »Ich habe mir noch einmal alles durch den Kopf gehen lassen, was du gestern von dir gegeben hast.«
»Jackie...« Er wollte offenbar zu einer Entschuldigung ansetzen.
»Nein, du brauchst gar nichts zu sagen. Du hast ja in allem recht. Als Kind hatte ich den Ehrgeiz, immer die Beste zu sein und Erfolg zu haben. Kein Mensch hat gemerkt, daß ich in Wahrheit gern wie die anderen Kinder gewesen wäre. Ich habe es auch versucht. Ich wünschte mir, zu einer der Cliquen zu gehören, die nach der Schule in den Drugstore gingen, Limonade tranken und mit den Jungs flirteten. Aber irgendwie fand ich keinen Zugang zu ihnen.«
Sie trank einen Schluck Wein und warf einen Blick auf die tieferstehende Sonne. »Du kennst doch meine Freundin Terri Pelman? Obwohl wir uns damals noch nicht nahestanden, beneidete ich sie glühend, weil sie in der Schule so beliebt war, besonders bei den Jungs. Sie wußte über alle neuen Modetrends Bescheid und war immer nach der letzten Mode gekleidet. Sie war das Gegenstück zu mir. Nie unterlief ihr ein Fehler, nie tanzte sie aus der Rolle, nie machte sie irgendwas falsch. Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich so hätte sein können wie sie. Und ich wollte, daß der Kapitän der Football-Mannschaft verrückt nach mir wäre. Aber ich schaffte es nie. Kannst du dir vorstellen, wie mir zumute war?«
»Ja«, antwortete er kurz, und es schien, daß er es ihr nachfühlen konnte. Sie dachte daran, wie oft die anderen Kinder William gehänselt hatten, weil er Jackie überallhin
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