Unzaehmbares Verlangen
jetzt bin ich verletzlicher als je zuvor. Keith möchte Kinder haben, doch mir macht allein der Gedanke daran Angst. Ein Baby wäre eine weitere Geisel, mit der Daddy uns kontrollieren könnte.«
Letty fröstelte unwillkürlich. »Hat Ihr Vater Sie jemals verletzt, Diana?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Zumindest nicht körperlich«, erklärte sie mit einem freudlosen Lächeln. »Ich war viele Jahre lang sein liebes kleines Mädchen. Solange ich diese Rolle spielte, bekam ich von ihm alles, was ich wollte. Aber wenn ich es wagte, eine eigene Entscheidung zu treffen, wurde er furchtbar wütend.«
»Und das jagte Ihnen Angst ein.«
Diana nickte. »Eines Tages erklärte ich ihm, es wäre mir gleichgültig, wenn er mir keinen Pfennig mehr geben würde. Ich wollte einfach nicht mehr der Vogel im goldenen Käfig sein - so nannte Joel mich damals. Aber nach der
Szene in der Scheune wurde mir klar, daß Daddy womöglich viel schlimmere Dinge tun könnte, als mich zu enterben, wenn ich ihn verärgerte.«
»Sie haben sich also fünfzehn Jahre lang erpressen lassen?« fragte Letty ungläubig.
Diana biß sich auf die Unterlippe und senkte den Kopf. »In gewisser Weise. Und ich mußte auch Keith mit hineinziehen. Immer wenn er davon sprach, Echo Cove zu verlassen und in einer anderen Stadt ein neues Leben zu beginnen, sagte ich ihm, er müsse meinetwegen bei Copeland Marine bleiben. In Wahrheit hatte ich Angst davor, was Daddy tun könnte, wenn wir uns ihm widersetzen würden.«
Letty stand auf und ging auf Diana zu. »Und als Joel dann nach all den Jahren wieder auftauchte, glaubten Sie wirklich, er wäre gekommen, um Sie zu retten, nicht wahr?«
»Ich hoffte, daß Keith und ich endlich frei sein könnten, wenn Copeland Marine geschlossen würde. Wir hätten einen Grund gehabt, die Stadt zu verlassen und uns anderswo ein neues Leben aufzubauen. Ja, ich dachte, Joel würde mich endlich retten.« Diana brach in Tränen aus. »Aber jetzt läuft alles schief. Keith ist in Gefahr.«
»Haben Sie mit Ihrem Mann darüber gesprochen?«
»Ich habe es versucht, aber er will nicht auf mich hören. Er behauptet, er hätte alles im Griff.«
Letty zögerte kurz. »Ich werde mit Joel reden«, erklärte sie dann. »Er muß in Betracht ziehen, daß es zu Gewalttätigkeiten kommen könnte. Aber ich glaube, das ist momentan alles, was zu tun möglich ist. Sie haben die beiden ja gesehen - sie brennen darauf, die neuen Pläne in die Tat umzusetzen. Es ist unwahrscheinlich, daß sie sich von uns beeinflussen lassen, nur weil wir unbestimmte Befürchtungen haben.«
»Ich weiß«, erwiderte Diana. »Allmählich fühle ich mich wie Kassandra - ich versuche jeden zu warnen, aber keiner will auf mich hören.« »Worüber hast du mit Diana gesprochen, nachdem ihr das Restaurant verlassen hattet?« fragte Joel eine Stunde später, während er die Tür zu Lettys Wohnung öffnete.
»Über ihren Vater.« Letty ging ins Wohnzimmer und ließ ihren Mantel auf die Sofalehne fallen. Dann setzte sie sich. »Sie hat Angst vor ihm.«
»Unsinn. Er hat ihr immer alles gegeben, was sie wollte.« Joel ging in die Küche und öffnete den Schrank. »Sie hat keine Angst vor ihm, sondern vor den Veränderungen, die auf sie zukommen, wenn ihr Vater in Echo Cove nicht mehr die erste Geige spielt.«
Letty schlüpfte aus den hochhackigen Schuhen. »Nein, das stimmt nicht. Diana befürchtet, Keith könnte etwas zustoßen. Sie sagt, daß sie seit dem Tag, an dem ihr Vater euch in der Scheune überraschte, Angst vor seinen Wutausbrüchen hat.« Letty beobachtete Joel, wie er zwei Gläser mit Whisky zum Tisch trug. »Hat Copeland an diesem Nachmittag versucht, dich umzubringen?«
Joel zuckte die Schultern. »Wenn er meinen Kopf mit dem schweren Holzprügel getroffen hätte, wäre ich wohl nicht mehr am Leben.«
»Meine Güte«, flüsterte Letty.
»Kein Grund zur Aufregung. Das ist immerhin fünfzehn Jahre her. Du darfst nicht vergessen, daß er mich haßte, weil ich es gewagt hatte, seine kostbare Tochter zu berühren. Gegen Escott hat er nichts. Keith erzählte mir heute abend, daß Copeland ihm seinerzeit Diana vorgestellt und sogar die Heiratspläne der beiden unterstützt hat.«
Letty seufzte. »Ich mache mir Sorgen, Joel. Hoffentlich geht nichts schief.«
Joel lächelte humorlos. »Das hoffe ich auch. Schließlich war das alles deine Idee, nicht wahr?«
Sie sah ihn erschrocken an. Joel hatte recht. Es war nur ihrer Initiative zuzuschreiben, daß
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