Unzaehmbares Verlangen
willst anscheinend nicht, daß ich dir die Sachlage erkläre. Nun gut, vergessen wir die Vergangenheit. Was hat Copeland beim Frühstück mit dir besprochen?«
»Das habe ich dir bereits gesagt.«
Joel hob ungeduldig die Hand. »Ich spreche nicht von früher. Was für eine rührselige Geschichte hat er sich ausgedacht, um seine Firma behalten zu können?«
»Hier geht es um Tatsachen«, erwiderte Letty empört. »Ich bin sicher, du weißt, was auf dem Spiel steht. Meine Befürchtungen haben sich leider bestätigt. Wenn wir Copeland Marine schließen, hat das eine verheerende Wirkung auf die wirtschaftliche Lage in Echo Cove.«
»Geschäft ist Geschäft. Was, zum Teufel, soll die Einladung in das Werk?«
»Copeland will uns herumführen, das ist alles.«
»Und du wirst hingehen?«
»Natürlich. Möchtest du nicht mitkommen?«
»Das sollte ich wohl besser tun. Wenn ich nicht dabei bin, wird Copeland sich sicher noch einige herzerweichende Geschichten für dich einfallen lassen.«
Letty hob trotzig das Kinn. »Und ich werde ihm zuhören.«
»Wie du willst, Letty. Es gibt kein Zurück mehr. Du kannst Thornquist nicht aufs Spiel setzen, um Copeland Marine zu retten. Wenn du versuchst, Copeland über Wasser zu halten, gefährdest du damit deine eigene Firma. Nimmt Thornquist Gear Schaden, werden dreimal so viel Menschen arbeitslos wie hier in Echo Cove. Das solltest du dir vor Augen führen, Boß.«
»Nenn mich nicht Boß!« schrie sie ihn an.
Joel war verblüfft über ihren plötzlichen Gefühlsausbruch. Bisher hatte sie sich ruhig und vernünftig verhalten. »Schon gut, Letty. Reg dich nicht auf.«
»Ich werde noch einen kleinen Spaziergang durch Echo Cove machen, bevor wir zu Copeland gehen. Ich brauche dringend frische Luft.« Letty ging zum Schrank und nahm eine Hose heraus. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest - ich möchte mich umziehen.«
»Ich werde dich begleiten und dir einiges zeigen.«
»Nein, danke. Ich finde mich schon selbst zurecht. Keine Sorge, ich werde mich nicht verlaufen.«
Joel sah sie enttäuscht an. Er mußte sich eingestehen, daß er ihr heute wohl nichts recht machen konnte. Vielleicht brauchte sie ein wenig Zeit für sich, um sich zu beruhigen. »In Ordnung. Wie du willst.« Zögernd wandte er sich zur Tür.
»Joel?«
Er blieb unvermittelt stehen und drehte sich um. »Ja?«
»Diana sagte, du hättest sie vor fünfzehn Jahren retten sollen. Wovor?«
»Es gab keinen Grund, sie zu retten«, sagte Joel. »Diana lebte wie eine Prinzessin. Sie hatte alles, was sie wollte: schöne Kleider, ein neues Auto, einen Platz in einem exklusiven Privatcollege - einfach alles. Wenn sie sich etwas wünschte, brauchte sie es nur ihrem Daddy zu sagen, und am nächsten Tag gehörte es ihr.«
»Nur dich konnte sie nicht haben. Victor ließ es nicht
zu.«
»Stimmt.« Joel ging in sein Zimmer und wollte die Tür hinter sich schließen.
»Joel?«
»Was?«
»Mir ist klargeworden, daß du wegen Diana nach Echo Cove zurückgekehrt bist. Du hast sie damals nicht gerettet. Willst du das jetzt nachholen?«
Joel schüttelte angewidert den Kopf. »Du hast einen völlig falschen Eindruck von der Sache, Boß. An dieser Geschichte bin ich schon lange nicht mehr interessiert.«
Eine halbe Stunde später stand Letty in einem kleinen Park am Ufer und sah auf das Meer hinaus. Die Sonne schien noch, aber es zogen allmählich Wolken auf. Eine sanfte Brise spielte mit ihrem Haar.
Zum ersten Mal, seit sie Indiana verlassen hatte, fühlte sie sich nervös und entmutigt. Als sie vor einigen Wochen den Beschluß gefaßt hatte, ihren Job aufzugeben und nach Seattle zu ziehen, war ihr alles so einfach erschienen. Thornquist Gear und ein neues Leben hatten auf sie gewartet. Die Gelegenheit schien perfekt, und sie war überzeugt gewesen, daß ihre Entscheidung richtig war.
Dann erinnerte sie sich daran, wie Großonkel Charlie ihr einmal gesagt hatte, daß es auf dieser Welt nichts umsonst gäbe.
Letty begriff allmählich, wie sehr Joel Blackstone ihr neues Leben beeinflußte. Er war ihr immer noch ein Rätsel. Wenn sie mit ihm zusammen war, lief ständig etwas schief, und nichts geschah so, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Bis auf letzte Nacht, dachte sie wehmütig. Joel hatte sie von ihrer geheimen Angst befreit, nie so starke Gefühle empfinden zu können. Anscheinend hatte es bisher doch daran gelegen, daß sie dem Richtigen noch nicht begegnet war.
Leider war der richtige Mann versessen auf Rache und
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