Unzaehmbares Verlangen
Hand. Als sie zu Boden fiel, rutschten einige lose Blätter heraus. »Du und deine verdammte Langzeitplanung! Verschwinde, Escott. Geh wieder an deinen Computer und spiel damit herum. Ich sagte bereits, wir sprechen uns später. Kommen Sie, Letty.«
Doch Letty hatte sich bereits gebückt und sammelte die Papiere ein. »Lassen Sie mich Ihnen helfen, Keith.«
»Vielen Dank, ich glaube, wir haben alles.« Keith erhob sich und nickte steif. »Bis später, Letty.«
Joel hatte die Szene mit grimmiger Miene beobachtet, schwieg aber.
Letty schenkte Victor ein kühles Lächeln. »Können wir jetzt weitermachen?«
»Natürlich. Bringen wir die Sache hinter uns.« Victor drehte sich um. »Es gibt allerdings nicht viel zu sehen.«
Gegen Mitternacht schreckte Letty mit dem beunruhigenden Gefühl hoch, daß etwas nicht stimmte. Eine Weile lauschte sie. Dann hörte sie wieder das Geräusch, das sie geweckt hatte. Joel versuchte, die Verbindungstür zu öffnen.
Der Mann hat Nerven, dachte Letty wütend. Nach allem, wie er sich heute verhalten hatte, erwartete er tatsächlich, jetzt da weitermachen zu können, wo er vergangene Nacht aufgehört hatte.
Sie schob die Bettdecke zur Seite, setzte die Brille auf und sprang aus dem Bett. Glücklicherweise hatte sie daran gedacht, das Schloß von innen zu verriegeln.
Als sie fast an der Tür war, gab Joel auf. Letty überlegte, ob sie ihn zur Rede stellen oder besser so tun sollte, als hätte sie ihn nicht bemerkt.
Bevor sie sich entscheiden konnte, hörte sie plötzlich andere Geräusche. Eine Schranktür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Die Federn eines Sessels quietschten. Dann hörte Letty, wie Joel durch das Zimmer ging und die Tür zum Flur öffnete. Mit einemmal wurde ihr klar, was er vorhatte.
Sie hastete zur Außentür und schob rasch den Riegel zurück. Barfuß trat sie auf den kalten Steinboden.
Die kalte Nachtluft nahm ihr beinahe den Atem. Joel schloß gerade die Tür zu seinem Zimmer ab und ging dann zur Treppe. Er trug Jeans und eine graue Windjacke. Sicher hatte er sie gehört, aber er sah sich nicht um.
»Joel?« rief Letty leise.
Er drehte sich auf der Treppe um und warf ihr über die Schulter einen Blick zu. »Was, zum Teufel, willst du?« Im grellen Licht der Außenbeleuchtung wirkte sein Gesicht hart. Er sah aus wie ein Krieger auf dem Weg zum Schlachtfeld.
»Wohin gehst du?« fragte Letty stirnrunzelnd.
»Ich gehe aus«, erwiderte er barsch.
Letty zuckte zusammen. »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich nicht möchte, daß du mitten in der Nacht in Echo Cove herumläufst. Das macht keinen guten Eindruck, Joel.«
»Ich habe nicht vor zu joggen, Madam«, erklärte Joel betont höflich.
Sie zwinkerte und schob die Brille zurecht. »Was willst du dann um diese Zeit tun?«
»Ich gehe in eine Kneipe«, sagte er. Seine Stimme klang frostig. »Sie heißt Anchor und ist nicht weit entfernt. Vor fünfzehn Jahren war sie der Treffpunkt der Männer, die ihren nörgelnden Frauen und schwierigen Bossen entfliehen wollten.«
Letty richtete sich zornig auf. »Joel...«
»Ich bin vorher daran vorbeigegangen, und es scheint sich nichts verändert zu haben. Nachdem ich mich im Moment sogar mit beiden herumplagen muß - einer nörgelnden Frau und einem schwierigen Boß -, werde ich tun, was man seit Generationen in Echo Cove in diesem Fall tut: Ich gehe ins Anchor. Bist du nun zufrieden?«
Letty starrte ihn entgeistert an. »Du willst dich in eine schäbige Kneipe setzen? Um diese Uhrzeit? Das kannst du nicht machen, Joel.«
»Hast du einen anderen Vorschlag?« Er musterte sie spöttisch von Kopf bis Fuß.
»Du wirst nicht in diese Kneipe gehen und dich betrinken«, erwiderte sie wütend. »Das verbiete ich dir.«
»Also weißt du etwas Besseres.« Joel grinste anzüglich.
»Joel, bitte denk an das Image der Firma. Es würde keinen guten Eindruck machen, wenn der Geschäftsführer von Thornquist Gear sich in einer Bar vollaufen läßt.«
»Ich pfeife auf das Image der Firma.« Joel kam auf sie zu. »Und auf die Chefin der Firma ebenfalls.«
Letty zog sich hastig in ihr Zimmer zurück und schlug die Tür zu. Vorsichtshalber schob sie den Riegel vor. Dann lehnte sie sich gegen die Wand und schloß die Augen, während sie hörte, wie Joels Schritte sich langsam entfernten.
9
Als Joel die Kneipe betrat, fiel sein Blick sofort auf Keith Escott. Er schloß daraus, daß nörgelnde Frauen ein allumfassendes Problem darstellten, das vor
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