Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
Volk jedoch erfolgreich zum Guten erziehen, wenn aus einigen solcher Lehrgedichte politische und gesellschaftliche Wirklichkeit wird.
Im Lustspieltheater probt man Zauber . Ich sitze in einer Ecke der Bühne und höre den Schauspielern zu. Sie proben gewissenhaft und professionell, »streichen«, werfen all das aus dem Text, was, ihrem schauspielerischen Instinkt nach, überflüssig ist, und sie haben damit sicher auch recht. So wird eine anständige Aufführung, ein gewissenhaftes Bühnenspektakel zustande kommen.
Dies ist meine dritte Arbeit fürs Theater. Und während ich den Akteuren zuhöre, spüre ich wieder: Ich habe keine wirkliche Beziehung zur Bühne. Sie ist nicht mein Raum, mein Umfeld. Sie haben recht, wenn sie weniger, manchmal etwas anderes und stets alles anders sagen, als ich es geschrieben und mir vorgestellt hatte … doch auch ich habe recht, wenn ich spüre, dass ich nur in dem Raum des geschriebenen Wortes mit meiner Arbeit »übereinstimmen«, einverstanden sein kann. Das hier ist schon eine Produktion, in einer Schaustellerbude, mit der ich nicht viel und nicht wirklich etwas gemein habe.
Im Regen fahre ich die Donau entlang, acht Kilometer im Novembersturm, nach Hause, nach Leányfalu. Das Fahrrad habe ich vor ein paar Jahren noch aus ganzem Herzen verachtet, es für ein lächerliches Verkehrsmittel gehalten. Jetzt macht es mir Spaß, unterhält mich. Fahrradfahren erinnert irgendwie ans Schweben, ans Fliegen … Vielleicht bereitet sich der Mensch mit solchen metaphorischen Erfahrungen auf die Freiheit im Tod vor.
Das Geld ist total explodiert, es wurde atomisiert. Am Vormittag kostet ein Kilo Salz achtzehntausend Pengő, am Nachmittag zweiundzwanzigtausend. Warum nicht mehr? Warum nicht viel mehr? Das weiß keiner. Es gibt in diesem Spiel etwas von einer fixen Idee, einer Psychose. Ein Tausender ist einen Fillér wert oder noch weniger. Trotzdem kann der Mechanismus des menschlichen Zusammenlebens nicht ohne Geld betrieben werden. Auch in solch atomisiertem Zustand braucht man es, man braucht die verrückten Zahlen, die kein Wertmesser mehr sind, sondern nur noch Aufschreie.
In den vergangenen Jahren waren alle gezwungen, urkundlich – und mit wie vielen verschiedenen Urkunden! – zu beweisen, dass sie »Christen« sind. Dieser Irrsinn war ansteckend. Doch gerade die Christlichkeit ist jener menschliche Zustand, zu dem man keine Urkunde braucht. Jemand ist christlich, oder er ist es nicht. Wenn er es ist, braucht er keine Urkunde, wenn er es nicht ist, so ist er es auch nicht, wenn er eine Urkunde besitzt. Jahrelang wurde damit ein grausames und dummes Spiel getrieben.
Hemingways Roman über den Spanischen Bürgerkrieg. Ordentliche Arbeit – keine Literatur, aber auch kein Report; eine Art der Berichterstattung, die zwischen den beiden liegt, ein Text, den die Hitze des Erlebten über den Durchschnitt erhebt. Pilars Erzählung über den Massenmord in der Kleinstadt, in der sich Bekannte und Freunde unter dem Vorwand der Revolution gegenseitig umbringen, ist in seiner Wortkargheit ein bedeutendes Kapitel der Weltliteratur.
Wenn ich aufmerksam in mich hineinhöre, spüre ich noch wilde Kräfte in mir – Kraft zur Arbeit und zum Leben. Diese geheime Reserve gehört mir; ich habe sie nicht für räuberische Abenteuer, aus denen jetzt das Leben besteht, aufgebraucht; sondern sie gut verborgen. Nur weiß ich nicht, ob ich noch Lust habe, diese Kräfte einzusetzen.
An einige Szenen aus Hemingways Buch kann ich mich erinnern. Als Pilar über den »Geruch des Todes« spricht; da spürt der Leser, dass diese Definition wirklichkeitsgetreu und genau ist. Das Zwischenspiel der Liebe ist seicht, es würde in einen amerikanischen Film passen. Was aber stark aus dieser düsteren menschlichen Landschaft strahlt, die nicht mit rein literarischen Mitteln gezeichnet wurde, ist Spanien. Es steckt etwas Dreckiges und Großartiges in diesem Land, Würde und Banditentum, der Ruf nach dem Tod und die Verachtung des Todes. Die Vision des Hochmuts, des Blutes, des Todes, eingerahmt von schwarz-goldenen Kulissen. Das ist wirklich groß, mehr als literarisch, real.
Der kleine Junge läuft ständig zu L. und küsst sie. »Noch nie hab ich so eine gute Mama gehabt«, sagt er. Und: »Ich hab mich an Sie gewöhnt.« Und: »Sterben wir zusammen.« Und: »Wir bleiben für immer zusammen.« Zu mir hat er gesagt: »Ich will so heißen wie Sie.«
All das sind Geständnisse und Liebe. Sie berühren mich zutiefst.
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