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Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Titel: Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Bahnhof passiert, wo man die Viehwaggons öffnete und die Toten herausholte, vierhundertzwanzigtausend Juden wurden auf diese Weise aus der ungarischen Provinz deportiert, danach hat man die Budapester Juden zuerst in die Judenhäuser , dann, nach dem 16. Oktober, ins Getto gesperrt, von dort wurden sie in Gruppen von Tausenden die Donau entlang nach Komárom getrieben, alte Frauen in Halbschuhen, Kinder, halbwüchsige Mädchen; sie schliefen auf Frachtkähnen; wer auf diesen im November, Dezember vereisten Straßen nicht Schritt halten konnte, wurde erschossen. Und in den letzten Wochen schließlich das Leben während der Belagerung und im Getto … Keiner von denen, die sich jetzt vor den Einquartierungen fürchten und sich wegen der Plünderer und Diebe Sorgen um ihr Mehl und ihre Wäsche machen, redet davon.
    Alles ist gut so, wie es geschieht: Diese Gesellschaft verdient alles Erdenkliche für ihre Verbrechen. [Eintrag durchgestrichen.]
    Und sie glauben, weil sie mit augenzwinkernder, arglistiger Berechnung die Persianermäntel und Kandelaber von Juden versteckt haben, weil sie aus Vorsicht und weil sie die Absicht hatten, Pluspunkte zu sammeln, ein, zwei Juden halfen – aber erst, als diese Hilfe nicht mehr mit besonders gefährlichen Folgen verbunden war –, sie hätten damit ihre Zukunft gesichert! Ich glaube nicht, dass die Abrechung so billig und so einfach sein wird.
    In der Zeitung Szabadság wird in einer lebhaften Reportage die öffentliche Hinrichtung zweier Mord-Pfeilkreuzler geschildert. Der Galgen wurde auf dem Oktogonplatz aufgestellt.
    Ich lese den Report und Buchstabe für Buchstabe den Namen der Zeitung, und es ist mir unmöglich, nicht an die Zeile eines Gedichts von Babits zu denken: »Freiheit!«, rufen sie, und aus der Erde sprießen Galgenbäume … Doch es kann nicht anders sein, so muss es geschehen.
    Der russische Major, der vor einigen Wochen hier gewesen ist und zur Erinnerung einige Manuskriptseiten der Schwester mitgenommen hat, erklärte mit verbitterter Stimme, dass auch ungarische Truppen neben den Deutschen an der Verwüstung von Tolstois Heim in Jasnaja Poljana beteiligt waren. Seine Klage war berechtigt … Doch würde dieser Major heute nach Leányfalu kommen, könnte er sehen, wie die herumlungernden Russen (und vermutlich auch das hiesige Gesindel) hier das Heim von Zsigmond Móricz verwüstet haben; Möbel, Bücher, Manuskripte, alles durchwühlt und zertreten; und wie sehr es die gleichen Gelüste sind, die in diesem Krieg zerstören, mit der selben Gleichgültigkeit, Grausamkeit und Geschicklichkeit.
    Zsigmond Móricz war für uns, was Tolstoi für die Russen war. In diesem Krieg kommt keiner und nichts ungeschoren davon, die Heime der Lebenden und der Toten verglühen in diesem Weltenbrand gleichermaßen zu Asche. Es bleibt jedoch stets die Frage: »Wer hat angefangen?« Und wenn diese Frage gestellt wird, haben wir zu schweigen.
    Der eigentliche Sinn des Krieges ist auch heute noch, wie zu allen Zeiten: Mord, Raub, Diebstahl, Gewalt. Auch im Krieg kann jemand menschliche Größe zeigen, der Krieg selbst hat jedoch nichts von einer irgendwie gearteten menschlichen Größe.
    Ich glaube nicht an den Frieden. Der Mensch ist nicht imstande, mit sich selbst und der Welt in Frieden zu leben. Und es gibt keine Form der Erziehung, keine Gesellschaftsordnung, die diese zerstörerischen Leidenschaften in der menschlichen Seele neutralisieren kann.
    Dennoch kann ich nichts anderes sagen als: Friede. Auch wenn es aussichtslos ist: Friede. Und unter welcher Fahne sie auch immer einen neuen Krieg beginnen, mit welchen Argumenten sie dann erklären mögen, er sei berechtigt oder notwendig: Ich kann nur ewig wiederholen, dass der Krieg das größte Übel ist, die Vernichtung aller menschlichen Ideale, und dass mit allen Mitteln und auf jede Weise dagegen angekämpft werden muss. Die Profiteure des Krieges haben mich – für mich lebensgefährlich – einen Pazifisten, einen Humanisten genannt, mich proskribiert, dennoch konnte ich nichts anderes sagen als: Friede. Und welche Welt auch kommen mag und unter welchem Vorwand die Welt sich auch neu bewaffnet – weil sie wieder aufrüsten wird, genauer: sie wird gar nicht aufhören damit! –, und wie undankbar und gefährlich es auch sein wird, »Friede« zu rufen, so muss trotzdem für ewig und um jeden Preis ausgesprochen werden, dass der Krieg sinnlos und unmenschlich ist, der Mensch nur in Frieden leben und Mensch bleiben kann. Im

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